Festivalarchiv 2006 bis 2018

Tiefschwarze Albträume zwischen zwei Buchdeckeln

Einführungsrede Dr. Josef Zierden zu Jussi Adler-Olsen am 20. April 2012 in Bitburg

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

was ist das für ein Autor?
Der unter geisteskranken Mördern und Triebtätern aufgewachsen ist.
Der als kleiner Junge auf Dächer stieg, um Leichen zu sehen. Der schon mal im Wald nach verschwundenen geisteskranken Klinikpatienten des Vaters suchte und im dichten Laub gegen die baumelnden Beine eines Selbstmörders prallte?

Dr. Josef Zierden bei der Einführungsrede zu Jussi Adler-OlsenJussi Adler-Olsen aus Kopenhagen, mit vollständigem bürgerlichem Namen „Carl Valdemar Jussi Henry Adler-Olsen“- er hat viel studiert: Medizin, Politik, Soziologie und Film. Aber noch mehr studiert hat er das Leben. Je verrückter, umso besser.

Schon als Kind und Jugendlicher in den Nervenheilanstalten seines Vaters Henry Olsen, eines führenden dänischen Psychiaters. Dort hat er bestialisch böse Menschen kennengelernt und freundliche, harmlose zugleich, nicht selten in einer einzigen Person.
Dieses frühe Wissen um die dunkle Seite im Menschen; die Faszination des Bösen; die Sympathie für das eigenartige Völkchen von Psychopathen: das hat Adler-Olsen geprägt und einen deutlichen Niederschlag in seinen Romanen gefunden.

Er hat Stoff genug für immer neue tiefschwarze Albträume zwischen zwei Buchdeckeln. Für seitenstarke Leseziegel, die einen düsteren Kosmos entfalten - von ungeheuerlicher Grausamkeit und Gewalt.
Psychothriller, die Einblick geben in die Seelenwelten von Opfern und Tätern. In denen der Blick für die Motive und die schauerlichen Abgründe im Menschen viel wichtiger ist als die vordergründige Klärung der Frage: „Wer ist der Täter?“.

Bevölkert ist dieser düstere Kosmos von skrupellosen, unberechenbaren, lebensgefährlichen „Finsterlingen“, von „kranken Hirnen“, von „Monstern“ und „Bestien“, die doch äußerlich getarnt sind zuweilen bis zur Unauffälligkeit.
Teufel in Verkleidung, Menschen mit zwei Gesichtern.
Einst womöglich geliebt, jetzt aber panisch gefürchtet.

Die eine bekannte Politikerin entführen und wie ein Tier in einem Käfig gefangen halten, in einer Betonhölle, in einer luftdichten Druckkammer mit stetig steigenden Druckverhältnissen, die den einsamen, langsamen, qualvollen Tod des Opfers vorprogrammieren - mit möglicher finaler Explosion.

Da prügelt eine Internatsclique aus reichem Haus, jetzt die Spitze der Gesellschaft, Kinder zu Tode, um im Rausch der Macht über Leben und Tod die Ohnmacht der Opfer sadistisch auszukosten - ihre Angst, ihre Hilfeschreie, ihr Flehen um Gnade.

Sektenkinder werden entführt und zur Einschüchterung skrupellos getötet, selbst wenn die Eltern schon das Lösegeld gezahlt haben.

Scheinbar biedere Bürger, angesehene Geschäftsleute - sie gehen über Leichen, um ihre wahre Identität zu verbergen: ihre

Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg und erst recht ihr Überleben als Simulanten in einem Notlazarett für Geisteskranke.

Verstellung, Tarnung, biedere Fassaden - wehe dem, der daran kratzt. Da ist nichts, wie es scheint. Da bleibt nichts, wie es ist.

Da herrscht, im Verborgenen jedenfalls, Krieg selbst in Friedenszeiten.
Da werden dänische Landstriche zum blutigen Jagdrevier für skrupellose Mörder.
Da enden gnadenlose Abrechnungen immer neu in spannenden Showdowns mit atemberaubend spannenden Kämpfen und Duellen und gnadenlos tödlichen Ausgängen.

„Erbarmen“, „Schändung“, „Erlösung“ und „Das Alphabethaus“: diese berühmten Einwort-Titel stehen für Psychothriller, die im Kern immer wieder den unmenschlichen Missbrauch von Macht anprangern: wenn Menschen im Gefühl der Allmacht ihre ohnmächtigen Opfer wortwörtlich quälen bis aufs Blut, sie demütigen, sie töten. Wenn sich Menschen über Menschen erheben, scheinbar gottgleich, mit satanischer Fratze.

Wo uns die grausame Kälte des Romangeschehens zuweilen schockt und erschauern lässt, da wärmt uns der Hunger nach Gerechtigkeit des eigenwilligen Ermittlerpaares das Herz, um eine dänische Tageszeitung zitieren („Fyens Stiftstidende“).  Der eigenbrötlerische Vizekriminalkommissar Carl Mørck und sein syrischer Assistent Hafez el-Assad vom Kopenhagener Sonderdezernat Q für alte, nie aufgeklärte Fälle. Einander spannungsvoll-gegensätzlich verbunden wie Sherlock Holmes und Dr. Watson.

Das Leserherz wärmt erst recht der sympathische Autor. Sein eindrucksvoller Lebenslauf, der Dutzende Karriere im Zeitraffer vereinigt - als Rockmusiker, Comicverleger, als Koordinator der dänischen Friedensbewegung, als Hobbyarchitekt bei einem Dutzend Bauprojekten, als Aufsichtsrat eines Allgäuer Solarunternehmens und eben als Autor.
Gerade mal fünf Jahre ist es her, dass sich Jussi Adler-Olsen in die erste Liga der europäischen Thrillerautoren geschrieben hat. Für viele verkörpert er heute schon die Zukunft des skandinavischen Krimis, in einem Atemzug genannt mit Henning Mankell oder Stieg Larsson.
Eine Karriere als Thrillerautor, die 1997 mit dem Buch begann, das heute Abend offizielle Deutschlandpremiere haben soll: „Das Alphabethaus“. So beginnen wir das Eifel-Literatur-Festival 2012 mit einem Buch, mit dem Jussi Adler-Olsen seine internationale Karriere als Thriller-Autor begonnen hat.

Herzlich willkommen beim 10. Eifel-Literatur-Festival 2012, herzlich willkommen in der Stadthalle Bitburg:
der dänische Thriller-Autor Jussi Adler-Olsen.