Festivalarchiv 2006 bis 2018

Einführungsrede von Dr. Zierden zu Prof. Hans Küng

Bitburg, 31. Mai 2012

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

als Professor Hans Küng vor vier Jahren seinen 80. Geburtstag feierte, rauschte es in den Medien.
Als einer der größten und meistgelesenen Theologen unserer Zeit weltweit wurde er gerühmt, als „Querdenker“ und „Kirchenrebell“. Als „unbeugsamer Theologe“ im Kampf gegen römischen Absolutismus. Als „Reformer“, der an den Erneuerungsbemühungen der katholischen Kirche seit dem 2. Vatikanischen Konzil festgehalten habe im Bemühen um ein zeitgemäßes Christentum. Als „das Sprachrohr moderner Christen“. Als christlicher Denker, der polarisiere. Dem es aber auch, als Ökumeniker wie als Präsident der Stiftung Weltethos, um das Gemeinsame und Verbindende gehe: nicht nur der christlichen Konfessionen, sondern der Weltreligionen überhaupt.

Ein ganzes Buch haben Kollegen und Mitarbeiter aus Anlass seines 80. Geburtstag zusammengetragen, um das „Phänomen Küng“ zu ergründen: den Wissenschaftler und den Publizisten, den Vordenker, Systematiker und Visionär, den Wissenschaftsmananger, den Priester und Seelsorger und schließlich den Menschen mit seinen Stärken und Schwächen, seinen Höhen und Tiefen. Besonders originell ist dabei der Beitrag „Hans Küng im Spiegel der Karikaturisten“. Da sehen wir Küng 1979, auf dem Höhepunkt der Konflikts mit dem Vatikan, mit einem Heftpflaster in Kreuzesform auf dem Mund. Mundtot gemacht. Titel:  „Im Zeichen des Kreuzes“.

Oder wir sehen Küng auf einem Scheiterhaufen, zusammen mit umstrittenen Büchern aus seiner Feder. Der Scheiterhaufen ist errichtet, aber immerhin findet die Verbrennung nicht mehr statt. Im Gegenteil: Der Scheiterhaufen verklärt sich zum Thron eines Theologen, der trotzig auf seinen Positionen verharrt.
Oder ein Porträt aus dem Jahre 1980: Da sehen wir Hans Küng mit einem engen römischen Kragen, der zuschnürt wie eine Schlinge. Umso mehr ragt heraus der überdimensionierte Kopf eines Geistesriesen. Der freilich leidet unter den Engen und Zwängen der Amtskirche.

Ein Geistesriese, ein Trotzkopf - als Schweizer durchaus geprägt von dem Freiheitsdrang der Eidgenossen, wie er niedergelegt ist in Schillers Drama „Wilhelm Tell“, längst schon zum Nationalepos der Schweizer avanciert. Kein Wunder, dass man Küng längst schon zum „Wilhelm Tell des Katholizismus“ erhoben hat - wegen seines Freiheitsbewusstseins, wegen seiner „Abneigung gegen alle Diktatur in Staat, Kirche und Gesellschaft, gegen allen statlichen Totalitarismus und kirchlichen Integralismus“. So schreibt Küng im ersten Band seiner Erinnerungen, die bisher in zwei Bänden vorliegen, mit insgesamt 1350 Seiten. Ein Leben, dem Kampf um Freiheit und Wahrheit verpflichtet, wie die Titel signalisieren: „Erkämpfte Freiheit“ für die Jahre von 1928 bis 1968, „Umstrittene Wahrheit“ für die Jahre von 1968 bis 1980. Mehr als 60 Bücher hat Küng bislang geschrieben, mehr als 15.000 Druckseiten schon. Und es gibt kaum ein Buch, mit dem er nicht mit der Amtskirche angeeckt wäre. Zielsicher wie die Pfeile in der Armbrust von Wilhelm Tell, wie einmal ein Biograph schrieb, gezielt und stets zur richtigen Zeit.

Schon Küngs Doktorarbeit „Rechtfertigung“ des Jahres 1957  über den protestantischen Theologen Karl Barth, die eine unvermutete Nähe zwischen Protestanten und Katholiken erwies, schon diese Doktorarbeit veranlasste den Vatikan zur Anlage eines Inquisitionsdossiers. Erst recht machte sich Küng Feinde im Vatikan und beim Episkopat, als er das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes in Frage stellte, in seinem legendären, vieldiskutierten Bestseller „Unfehlbar“ des Jahres 1970 - einhundert Jahre nach der Unfehlbarkeitsdefinition. Küng machte sich auch Feinde mit seiner Weigerung, zu Kreuze zu kriechen bei Fragen des Zölibats, der Empfängnisverhütung, der Abtreibung, der Zulassung von Frauen zu kirchlichen Ämtern oder bei der Mahlgemeinschaft katholischer und evangelischer Christen. Für ihn eine Kette nachkonziliarer römischer Fehlentscheidungen oder Versäumnisse, die viel Leid über katholische Gläubige gebracht hätten. Zum Tiefpunkt der Kontroversen mit der Amtskirche, zu einer der bittersten Stunden im Leben von Hans Küng gerät der 18. Dezember 1979, wenige Tage vor dem weihnachtlichen Fest der Liebe:

Da wird Küng, in „heimtückischer Überrumpelung“, wie er es erinnert, die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen. Was Küng an diesem Tag in die Mikrofone der Weltpresse sprach, druckten einige Zeitungen ausgerechnet in ihrer Ausgabe an Heiligabend: Dass er, Küng, sich seiner Kirche schäme, die noch im 20. Jahrhundert geheime Inquisitionsverfahren durchführe. Und dass er sich schäme für eine Kirche, die sich auf Jesus Christus berufe und die die eigenen Theologen mit solchen Methoden diffamiere und diskreditiere.

Seiner Leidenschaft für Wahrheit und Klarheit hat das bis heute keinen Abbruch getan und übertrieben altersmilde ist er auch mit 84 Jahren nicht. Wenn es etwa darum geht, auszusprechen, woran die katholische Kirche krankt. Dass sie nicht überleben wird, wenn sie sich weiterhin Reformen und der aufgeklärten modernen Welt verweigert. „Verfemt, aber nicht mundtot“ nannte das jene Schweizer Zeitung, die ihn zum „Wilhelm Tell des Katholizismus“ erhoben hatte. Sie schließt ihre Hommage auf Küng aus Anlass des 80. Geburtstags mit der Audienz bei Papst Benedikt XVI., zu der Küng überraschend im September 2005 nach Castel Gandolfo eingeladen wurde. Strittige Kirchenthemen wurden dabei allerdings ausgeklammert. Es sei vor allem um das Projekt Weltethos gegangen, sagte Küng der Presse. Ein Projekt, das angesichts der aktuellen Polarisierungen zwischen den Weltreligionen kaum aktueller sein könnte. Fordert es doch Religionsfrieden und Religionsdialog als Voraussetzung für einen Weltfrieden.

Professor Hans Küng und Benedikt XVI., vormals Kardinal Joseph Ratzinger: Vielleicht haben sich beide bei der Audienz auch freundschaftlich über alte Zeiten unterhalten. Waren beide doch von Papst Johannes XXIII. zu Beratern des Zweiten Vatikanischen Konzils berufen worden. Hatte Küng doch Joseph Ratzinger, damals Dogmatikprofessor in Münster, 37 Jahre alt, nach Tübingen gelockt. 1965 beschlossen vom Großen Senat der Universität, im Sommersemester 1966 realisiert. Die „Avantgarde einer erneuerten katholischen Theologie in Deutschland“ schien damals in Tübingen vereinigt. Heute wissen wir, wie sehr die Lebensläufe von Küng und Ratzinger, die damals doch Gesinnungsgenossen zu sein schienen, auseinandergedriftet sind, wie sich hier nahezu exemplarisch zwei Wege des Katholischseins getrennt haben.

Herzlich willkommen beim 10. Eifel-Literatur-Festival 2012,
herzlich willkommen in der Stadthalle Bitburg: einer der international bekanntesten Kämpfer für eine moderne, weltoffene Kirche - Professor Hans Küng.