Festivalarchiv 2006 bis 2018

Einführungsrede Dr. Josef Zierden zu Herta Müller

Prüm, 27. Oktober 2012

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
es waren literarische Paukenschläge innerhalb weniger Tage, umrahmt vom Beginn und vom Ende der Frankfurter Buchmesse 2012: Der Nobelpreis für Literatur 2012, bekanntgegeben in Stockholm am 11. Oktober, 13.00 Uhr mitteleuropäischer Zeit. Und der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, überreicht in der Frankfurter Paulskirche am 14. Oktober.

Beide Male wurden chinesische Schriftsteller ausgezeichnet. Damit endet für manche bereits die Gemeinsamkeit. Denn der Nobelpreis für Literatur 2012 ging an den chinesischen Schriftsteller Mo Yan, über dessen Nähe zu den kommunistischen Machthabern und über dessen literarische Anpassungstechniken rasch international kontrovers diskutiert wurde. Geradezu empört zeigten sich chinesische Dissidenten wie der Künstler Ai Weiwei. Er vermisste bei Mo Yan als unerlässliche Qualität für einen guten Schriftsteller, sich klar für die universellen Werte der Menschenrechte, für Gedanken- und Meinungsfreiheit einzusetzen.

Ganz anders der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels 2012, der chinesische Schriftsteller Liao Yiwu. Der wurde in der Frankfurter Paulskirche gerade dafür geehrt, dass er „sprachmächtig und unerschrocken gegen die politische Unterdrückung“ aufbegehre „und den Entrechteten seines Landes eine weithin hörbare Stimme“ verleihe. Dass er als wahrer „Volksschriftsteller“ einstehe für „Menschenwürde, Freiheit und Demokratie“. Zu den eindringlichsten Momenten dieser Preisverleihung am 14. Oktober in der Paulskirche zu Frankfurt gehörte, wie Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller Liao Yiwu nach der Auszeichnung umarmte, ihren Freund, der seit 2011 im deutschen Exil leben muss. Tränen der Freude, Tränen des Schmerzes hatte Herta Müller da in ihren Augen, als sie den Mann umarmte, der das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 in den Mittelpunkt seiner Dankesrede gestellt hatte - und einen neunjährigen Jungen, der  damals von einer Kugel getötet worden war, als Jüngster. Und mit der Todesnachricht von diesem Jungen verkündete Liao Yiwu in der Paulskirche die Nachricht vom Tode des chinesischen Großreiches. Ein Land, das kleine Kinder massakriere, müsse auseinanderbrechen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren - literarische Dissidenz und Opposition in einer kommunistischen Diktatur und schriftstellerische Qualität: im Werk von Herta Müller findet das alles längst schon zusammen. Am markantesten gewürdigt mit der Verleihung des  Nobelpreises für Literatur, bekanntgegeben am 8. Oktober 2009 , um 13.00 Uhr. Es war ein Donnerstag, ich weiß es noch genau, wie ich überhaupt noch alle Details dieses sensationellen Tages in Erinnerung habe: von der Bekanntgabe im Rundfunk bis hin zu dem Fragegewitter sozialdemokratischer Landtagsabgeordneter, mit denen ich an diesem Tag zu einem Gespräch in Mainz zusammenkam, auf Einladung von Monika Fink. Wenige Tage nur, nachdem ich einen Lexikonartikel über Herta Müllers epochalen neuen Roman „Atemschaukel“ abgeschlossen hatte - ein Roman, der ihr bisheriges Gesamtwerk krönt. Ein Gesamtwerk, mit dem sie anschrieb gegen die Diktatur des banatschwäbischen Dorfes wie gegen die totalitäre Diktatur des Ceausescu-Regimes in Rumänien: mit Unterdrückung, Verfolgung und Gewalt, mit allgegenwärtiger Bespitzelung und Bedrohung. Der Nobelpreis für Literatur bescherte der Autorin weltweite Aufmerksamkeit und Bekanntheit. Die Ehrung wurde auch, gerade im zwanzigsten Jahr des Mauerfalls, als Aufforderung verstanden, aus der traumatisierenden Erfahrung einer totalitären kommunistischen Diktatur Lehren zu ziehen für die Demokratie im 21. Jahrhundert.

Ob mit Nobelpreis oder ohne - seit mehr als einem Jahrzehnt hält Herta Müller dem Eifel-Literatur-Festival die Treue.

So ist es kein Zufall, dass gerade sie das Eifel-Literatur-Festival 2012 beschließt. Das war ja, von 2011 an bis in den Sommer 2012 hinein, als womöglich letzte Festivalausgabe überhaupt geplant. Und in diesem Falle hätte das letzte poetische Wort unbedingt ihr gehören sollen: der mutigen Kämpferin für das freie Wort, die sich in diesen Literaturpreistagen 2012 wohl eher an der Seite Liao Yiwus weiß, der im Kampf gegen politische Unterdrückung, gegen Entmenschlichung und rohe Gewalt Gefängnis, Folter und Repressionen auf sich nahm.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, inzwischen steht fest und ist bekannt: Das Eifel-Literatur-Festival geht weiter, nicht zuletzt dank starker Unterstützung durch die Landesregierung.

Was kaum bekannt ist: dass sich Herta Müller ganz stark für eine Fortführung des Eifel-Literatur-Festivals eingesetzt hat. So klingt mit ihrer heutigen Lesung nur ein erfülltes Festivaljahr 2012 aus, aber nicht ein ganzes Literaturfestival in der Eifel.

Herzlichen Dank dafür an Herta Müller - wie natürlich auch an Ministerin Doris Ahnen und an Kulturstaatssekretär Walter Schumacher.
So können wir es weiterhin wagen, in der Eifel ein Literaturfestival am Leben zu erhalten und fortzuführen,
das nicht von einer profitorientierten Agentur oder von einer hauptamtlichen Mannschaft mit immensen Personalkosten organisiert wird;
das nicht die Lizenz beansprucht zu immer neuen Mega-Defiziten auf Kosten ohnehin hochverschuldeter Kommunen;
das sich nicht austoben möchte in elitärer Arroganz und schnöder Überhebung über Publikumsinteressen;
das, fast wie ein Fossil in unserem Kulturbetrieb, immer noch weitgehend ehrenamtlich und nebenberuflich gestemmt wird, mit viel Herzblut und Engagement.

Und das doch, bei gerade mal 24 Veranstaltungen im dünnbesiedelten ländlichen Raum, rund 15.000 Besucher erreicht. Fast so viel wie ein großes Literaturfestival mit 80 Veranstaltungen und 150 Autoren und einem großen hauptamtlichen Apparat in der Freien und Hansestadt Hamburg, mit 1,8 Mio. Einwohnern Deutschlands zweitgrößte Stadt.
Das Eifel-Literatur-Festival: auch im endenden Festivaljahr 2012 wollte es ein Literaturfestival sein für jedermann, der Vielfalt der Leserinteressen verpflichtet - und der kulturellen Aufwertung einer Region, die allzu lange als „preußisch Sibirien“  verschrien war. In die sich lange Zeit schwerlich Schriftsteller von Rang verirrt hätten, eine Nobelpreisträgerin für Literatur schon mal gar nicht.

So sage ich ein letztes Mal für 2012 „herzlich willkommen“:

Herzlich willkommen in der Eifel,
herzlich willkommen beim 10. Eifel-Literatur-Festival 2012,
herzlich willkommen in Prüm, wo vor 18 Jahren alles begonnen hat:
herzlich willkommen die Nobelpreisträgerin für Literatur Herta Müller und als Moderator ihr langjähriger Wegbegleiter schon in Rumänien, der Schriftsteller und Übersetzer und Leiter des Literaturhauses Berlin, Ernest Wichner.
Und ich füge hinzu,  wenn ich schon so viel von literarischen Auszeichnungen gesprochen habe: Liebe Herta Müller, herzliche Gratulation vorab zur Ehrendoktorwürde der Universität Paderborn, die Ihnen am Montag verliehen wird - nur zwei Tage nach Ihrer heutigen Lesung in der Eifel. Die Universität Paderborn würdigt damit zum einen das literarische Werk, den herausragenden Rang Herta Müllers in der der deutschen Gegenwartsliteratur. Und sie würdigt damit  ihren Kampf „gegen jede Form von Diktatur und Geschichtsvergessenheit und für Freiheit und Menschenrechte“.  Nicht nur der chinesische Schriftsteller Liao Yiwu dürfte sehr einverstanden sein mit dieser Ehrung und mit ihrer Begründung. Ich sehe schon, wie er Sie umarmt...