Festivalarchiv 2006 bis 2018

Einführungsrede zu Rüdiger Safranski im Kloster Steinfeld

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Martin Heidegger, Friedrich Nietzsche, Arthur Schopenhauer:
wirkungsmächtige Philosophen des 19. und 20. Jahrhunderts - Vertreter der Phänomenologie und der Ontologie, des primären Nihilismus und des halbbarbarischen Immoralismus, der phänomenalistischen Erkenntnislehre...

Wer schafft es, ihr Leben, ihr Denken so klar und verständlich, so mitreißend und fesselnd, so scheinbar mühelos und einfach zu erzählen, dass diese Darstellungen Bestsellerlisten stürmen!
Dass sie breiten Massen von interessierten Lesern zugänglich werden. Dass sie Leser begeistert ausrufen lassen: „Endlich kann man Heidegger nicht nur lesen, sondern auch verstehen!“
Dass scheinbar ferne Denkwelten sich als Laboratorien der Moderne entpuppen? Dass schwierigste philosophische Kost zum Lesevergnügen wird?
Dass wir Denken als spannendes Abenteuer erfahren und dass wir als Lese-Wanderer zu den höchsten Denkgipfeln niemals Höhenangst bekommen oder in Absturzgefahr geraten?

Das schafft in Deutschland nur einer: nämlich der Gast unseres heutigen Abends - Rüdiger Safranski.
1945 im baden-württembergischen Rottweil geboren, hat er in Frankfurt am Main und in Berlin Germanistik, Philosophie, Geschichte und Kunstgeschichte studiert. Von 1972 bis 1977 hat er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich gearbeitet und über die Arbeiterliteratur in der Bundesrepublik seine Doktorarbeit geschrieben. Um sich 1987 schließlich, vor fast einem Vierteljahrhundert, als freier Schriftsteller in Berlin niederzulassen.
Neben den hohen Auflagen weisen auch zahllose Auszeichnungen und Literaturpreise sowie Übersetzungen in rund 20 Sprachen auf den eindrucksvollen Erfolg seiner schriftstellerischen Arbeit hin. Manche von Ihnen kennen ihn vielleicht auch aus der ZDF-Sendung „Philosophisches Quartett“, die er zusammen mit Peter Sloterdijk moderiert.

Nach E.T.A. Hoffmann, Schopenhauer, Heidegger, Nietzsche und nach der Romantik nun also Friedrich Schiller.

Nicht zum ersten Mal, hat ihn doch Safranski schon 2004, zum 200. Todestag Schillers 2005, mit der furiosen Schiller-Biographie „Schiller oder Die Erfindung des Deutschen Idealismus“ gefeiert als eine „der schwungvollsten Gestalten unserer Literatur“, als einen Revolutionär der deutschen Geistesgeschichte, als ein Zentralgestirn des deutschen Geisteslebens um 1800. Ein Buch, das an den Anfang der Lebensbeschreibung Schillers Tod und die Obduktion der Leiche stellt. Und das aus dem völligen körperlichen Verfall des Verstorbenen gleich die erste Definition von Schillers Idealismus gewinnt: dass man „mit der Kraft der Begeisterung länger lebt, als es der Körper erlaubt“, dass es „der Geist sei, der sich seinen Körper baut“.

Wenn Safranski uns die Modernität Schillers näherbringt und für eine Renaissance Schillers kämpft, dann kämpft er damit auch bewusst an gegen ganze Generationen von Studienräten des 19. und 20. Jahrhunderts, die - wie er sagt - vielleicht Schiller auf dem Gewissen hätten „mit lustlosem Auswendiglernen und stupidem Interpretieren geflügelter Worte“.
Sein jüngster Bestseller „Goethe & Schiller. Geschichte einer Freundschaft“ setzt diesen Kampf fort.
Indem er auch hier Klassiker entstaubt und erregend lebendig werden lässt: Schillers und Goethes Leben, Denken und Schreiben, ihre produktive Gegensätzlichkeit, ihre alles überwindende Freundschaft. Vom ersten Brief, der ersten Begegnung, dem ersten Gespräch und ersten Spaziergängen bis hin zu wechselseitigen Anregungen und zum gemeinsamen Werk. Die Lust an Schiller, die Lust an Goethe - hier kehrt sie wieder. Indem Genies wieder lebendig werden und mit ihnen ihre Zeit und ihr Werk. Während der Staub der Schulstuben verweht, funkeln uns wieder die Balladen der frühen Jahre entgegen, die Dramen, die Erzählungen und Romane, die Abhandlungen und Briefe. Und wieder kreisen „Die Kraniche des Ibykus“ über der Menge, kämpfen die „Räuber“ um eine gerechte Weltordnung, stirbt Wallenstein auf dem Gipfel seiner Macht...

Herzlich willkommen nicht in Weimar, nicht in Jena, nicht in Stuttgart oder Marbach - umso herzlicher aber im Kreis Euskirchen, im Kloster Steinfeld - beim 9. Eifel-Literatur-Festival 2010: Rüdiger Safranski!