Festivalarchiv 2006 bis 2018

Einführungsrede zu Judith Hermann in Wittlich

Meine sehr geehrten Ddamen und Herren,

„Sommerhaus, später“.
Wer an die Schriftstellerin Judith Hermann denkt, denkt unweigerlich auch an dieses ungewöhnliche Erzähldebüt, 1998 erschienen.
Mit einer Auflage von mehr als 250.000 Exemplaren und Übersetzungen in 17 Sprachen ist es einer der größten deutschen Bucherfolge des Jahrzehnts.
Enthusiastisch gefeiert von der Literaturkritik, allen voran vom „Literarischen Quartett“ - in der Sendung vom 30. Oktober 1998. Was seither vom „Sound einer neuen Generation“ geschrieben wurde, von der „neuen, hervorragenden Autorin“, deren Erfolg groß sein werde - in dieser Sendung ist es gesagt worden.
Von begeisterten Literaturkritikern, die die wunderbare Melancholie der neun Kurzgeschichten hervorhoben.
Die ein Leitmotiv fanden in dem Satz „Glück ist immer der Moment davor“. Und die der Glückssuche junger Menschen nachspürten, ihrem Fahren, Schweben durch die Tage und Nächte, ohne Bodenhaftung, in „gleichschwebender Emotionslosigkeit“. Und doch getragen von Erwartungen und Sehnsüchten.
Angesiedelt im wiedervereinigten Berlin der 1990er Jahre, der Nachwendezeit. In einer Stadt, die - mit Kindlers Literatur Lexikon gesprochen - „deutschland- und europaweit als interessantes Transitorium, als Raum der Möglichkeiten empfunden wurde“.
Passend zu den etwa 30jährigen Protagonisten und Protagonistinnen, die Lebensmöglichkeiten durchspielen, Entscheidungen verpassen oder auf ein „später“ vertagen.
Partys hingegeben und Popmusik, Liebesaffären, Drogen und Reisen.
Atmosphärisch dicht geschrieben, geprägt von der Kunst der Andeutungen und Aussparungen.
Immer umgeben von einem Schleier von Melancholie, gespiegelt in den vorherrschenden Jahreszeiten Herbst und Winter.
Längst hat „Sommerhaus, später“ Eingang in den Literaturunterricht der gymnasialen Oberstufe etlicher Bundesländer gefunden - unverzichtbar bei einem Lese-Gang durch die „Literatur der 90er Jahre“ oder durch die „junge deutschsprachige Literatur“ überhaupt.
Längst hat sich Judith Hermann ihren Platz in den Literaturgeschichten zur Gegenwartsliteratur erobert, hat sie mit „Sommerhaus, später“ sogar Eingang gefunden in die jüngste Ausgabe von „Kindlers Literatur Lexikon“, dem gewichtigsten Lexikonwerk zur Weltliteratur überhaupt, 2009 erschienen.
Und ein aktuelles Lexikon zur deutschsprachigen Literatur wie „Killys Literaturlexikon“ (2009) geht bereits auf den zweiten Prosaband von Judith Hermann ein: „Nichts als Gespenster“, 2003 erschienen mit einer Startauflage von 100.000 Exemplaren. Sieben Geschichten, länger als die früheren und in ihren Schauplätzen jetzt weltweit angesiedelt. Wiederum mit Männern und Frauen um die Dreißig, die „das große Glück suchen und manchmal das kleine Glück finden“ (Killy).
Sechs Jahre - ungeheuerlich viel im hektischen Literaturbetrieb - sechs Jahre ließ sich Judith Hermann Zeit für die dritte Sammlung von Prosatexten: „Alice“, veröffentlicht 2009.
Hatte es bei „Nichts als Gespenster“ nicht an Kritik gefehlt, so war die Zustimmung des Feuilletons zu „Alice“ sehr breit.
Manche Kritiker halten es sogar für Judith Hermanns bestes Buch.
Um zwischenmenschliche Beziehungen geht es, die verlässlicher sind und fester als zuvor. Aber auch gefährdeter, nicht zuletzt durch Krankheit und Tod.
Fünf Erzählungen sind es, zusammengehalten durch die Titelfigur. Aus deren Perspektive wird erzählt. Eine Frau in den 40er, stammend aus Berlin. Die sich weniger für die Sterbenden und den Tod interessiert, als um die, die zurückbleiben, die weiterleben.
Einmal mehr „Geschichten von ungeheuerer Kraft und großer literarischer Schönheit“, wie der Klappentext rühmt.
Judith Hermann: als freie Schriftstellerin und Journalistin lebt sie in Berlin, im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg.
Von dort ist sie heute angereist, durch die Melancholie der Herbstlandschaft, zu uns in die Eifel.
Herzlich willkommen beim 9. Eifel-Literatur-Festival 2010,
herzlich willkommen in der Alten Synagoge zu Wittlich: Judith Hermann.