Festivalarchiv 2006 bis 2018

Einführungsrede zu Katja Riemann

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Deutschlandbilder gibt es viele!
Im Wandel der Jahrhunderte, im Spannungsfeld von Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung, von langlebigen Nationalklischees bis hin zu kurzlebigen, persönlichen Impressionen.
Legendär geworden sind Inhalt und Wirkung des Buches „Über Deutschland“ von Madame de Stael, 1813 erschienen. Deutschland galt vielen fortan als „Land der Dichter und der Denker“, als Land von höchster geistiger Kultur - wenn auch immer ein wenig in der Gefahr, realitätsferne Luftschlösser zu bauen.
Oder denken wir an die berühmten Eingangsverse von Heinrich Heines „Nachtgedanken“: „Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht“. Schlaflos geworden durch ein Deutschland, das - wie in den „Wintermärchen“ - erstarrt ist unter dem Eis von politischer und geistiger Unterdrückung.
Da dürfen wir gespannt sein auf das aktuelle Deutschlandbild, das uns Katja Riemann heute Abend präsentiert - mehr als 60 Jahre nach dem Untergang des 3. Reiches, 20 Jahre nach Mauerfall und Wiedervereinigung, vier Jahre nach dem deutschen Sommermärchen, als Fußball ein ganzes Land in einen Freudentaumel versetzte und vom Weltmeistertitel träumen ließ. Und wenige Tage nur, nachdem eine Sympathie-Umfrage der BBC unter den Bevölkerungen im Ausland den Deutschen bescheinigt hat, das weltweit angesehenste Land zu sein, bereits zum dritten Mal in Folge.

„Riemann liest Berg. // Riemann singt Rammstein. //
Jansen spielt Gitarre.“///
So wird das Programm des heutigen Abends, „Friedensreich. Ein Doitschlandabend“, auf der offiziellen Website von Katja Riemann angekündigt.
Riemann, Berg, Rammstein, Jansen, lesen, singen, spielen - musikalisch, schauspielerisch: Das ist ein Vierklang der Namen, das ist ein Vierklang der künstlerischen Kreativität - mit Katja Riemann im Zentrum.

Katja Riemann:
- Sie gilt als eine der bekanntesten, größten und gefeiertsten Schauspielerinnen unseres Landes, einer der wenigen wirklichen Stars des deutschen Kinofilms.
Sie hat nahezu alle wichtigen Preise eingeheimst, die es
für Kino und Fernsehen gibt.
Sie hat als „Komödienlady“, nicht zuletzt mit Till Schweiger im Kassenschlager „Der bewegte Mann“, millionenfach das Publikum in die Kinos gelockt und zum Aufschwung des deutschen Films in den 90er Jahren ganz wesentlich beigetragen.
Und sie wurde doch, gerade auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs, von der Filmkritik und der Klatschpresse nicht immer freundlich behandelt, immer wieder als „schwierig“ etikettiert - wie so manche, die ihr Privatleben nicht in der Klatschpresse breitgetreten sehen wollen und sich im Filmbetrieb nicht verbiegen lassen wollen.
Umso erfreulicher ist es, dass sie 2003 bei den Filmfestspielen in Venedig ihren internationalen Durchbruch erzielen konnte, ausgezeichnet als „beste Hauptdarstellerin“ in Margarete von Trottas Film „Rosenstraße“. „Bellisima“ (wunderschön) jubelte die italienische Presse und meinte damit nicht nur ihre blonden Haare und ihre blauen Augen.
Sie, die die hysterische Nervensäge im „Bewegten Mann“ ebenso überzeugend und meisterhaft zu spielen versteht wie die Unergründliche in der Literaturverfilmung „Die Apothekerin“ oder die tapfere, mutige Frau, die in Nazi-Deutschland ihren jüdischen Mann rettet, im Film „Rosenstraße“.
Und die als „Allroundtalent“ so viel Kreativität zur Entfaltung bringt, die spielt und schreibt und singt, die komponiert und produziert und sich, noch nebenher, als Unicef-Botschafterin für Kinder und Frauen weltweit engagiert.
Und die, wie es zum Kinostart von Martin Walsers „Ein fliehendes Pferd“ hieß, in all den Jahren „immer aufregender und schöner“ geworden ist.

Sibylle Berg,
deren Texte heute Katja Riemann lesen, vortragen, rezitieren wird und
mit der gemeinsam sie kürzlich, auf Lesereise war, mit dem Buch „Der Mann schläft“.
Diese Autorin, in Weimar geboren und in Zürich lebend, steht im Ruf einer „rotzfrechen Zeitdiagnostikerin“, „mit kaltem Blick“, tabulos, drastisch, provokant, rigoros und unerbittlich unsere Gegenwart entzaubernd:
in der man auf der vergeblichen Suche nach Glück ist, nach
Reichtum etwa, nach Ruhm, Liebe oder Schönheit,
die von Gewalt geprägt ist, von Kindesmissbrauch etwa.

Rammstein schließlich, die nicht unumstrittene ostdeutsche Heavy-Metal-Band: für Katja Riemann ist sie die „berühmteste deutsche Boy-Group seit den Comedian Harmonists“, für andere zählen sie zur sog. „Neuen Deutschen Härte“, deren Kennzeichen kontroverse Texte und brachialer Musikstil sind.

Gemeinsam mit dem Jazzgitarristen Arne Jansen, mit Rammstein und Sibylle Berg versucht Katja Riemann eine aktuelle Bestandsaufnahme zum Thema „Deutschland“, zwischen schwarzrotgold und düsterem Grau.
Geschrieben mit „oi“, wie bei Hooligans oder Punkbands üblich.
Und mit einem vorangestellten „Friedensreich“ - eine Anspielung auf den Maler Hundertwasser und die Macht der Kunst. Vielleicht aber auch ein ironischer Hinweis auf eine Republik, in der ein friedvolles, jedenfalls sozial gerechtes Miteinander immer mehr zu schwinden scheint.

Riemann, Rammstein, Berg und Jansen - das Quartett wird nicht nur für harmonischen Vierklang sorgen, für wohlklingende Akkorde - aber immer für provokante Impulse, für widersprüchliche Ansichten und Einsichten. Gegen geistige Bequemlichkeit, die sich zuweilen wie Aschewolken über unser Denken legt.
Herzlich willkommen beim Festivalstart 2010 im Atrium des Cusanus-Gymnasiums Wittlich, am Welttag des Buches - herzlich willkommen Katja Riemann und Arne Jansen.