Festivalarchiv 2006 bis 2018

Uwe Timm am 9. September 2016 in Wittlich

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

er habe immer noch Wut im Bauch, bekannte Uwe Timm im März 2015, als er über das Flüchtlingselend in Afrika sprach.

Im März 2015: Da feierte Uwe Timm seinen 75. Geburtstag - als einer der großen und wichtigsten und erfolgreichsten Erzähler der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Noch mit 75, nach fast einem halben Jahrhundert engagierten und kritischen Schreibens, zeigte er sich empört angesichts ungerechter Verhältnisse. Hatte Uwe Timm Wut im Bauch.

Wie damals in seinem ersten Roman „Heißer Sommer“, 1974 veröffentlicht: Da ging es um Chronik und Protokoll, um Theorie und Kritik der Studentenbewegung - von ihren Anfängen bis zu ihrer Zersplitterung. Da brach jemand auf, mit realistischer Schreibweise einen großen Leserkreis zu erreichen, gesellschaftliche Probleme anschaulich und unterhaltsam darzustellen. In einer Zeit, in der man die Totenglocke für die Literatur zu läutern schien. Einer emanzipativ-unterhaltsamen Literatur verschrieb sich Uwe Tim, der Aufklärung wie der Unterhaltung gleichermaßen - und dem Schreiben als einem soliden Handwerk.

Von „Heißer Sommer“ bis „Rot“, vom Romanessay „Am Beispiel meines Bruders“ (2003) bis zu „Der Freund und der Fremde“ und zur „Erfindung der Currywurst“ reicht die Reihe zeitkritischer Gegenwartsromane, Erzählungen und Novellen. Allesamt wichtige Landmarken der deutschen Literatur - ob sie den Kolonialkrieg zu Anfang des 20. Jahrhunderts thematisieren oder Entwicklungspolitik gleichsam als Fortsetzung von Kolonialgeschichte, wie im Roman „Der Schlangenbaum“. Ob sie „Am Beispiel meines Bruders“ eine exemplarische Familiengeschichte des 20. Jahrhundert entfalten, mit dem Bruder bei der Waffen-SS. Ob sie ein Panorama der unmittelbaren Nachkriegszeit in Deutschland entwerfen wie in „Die Entdeckung der Currywurst“ oder das Auf und Ab der 68er-Studentenrevolte bis hin zum Berlin der Nachwendezeit mit politischen und literarischen Ikonen wie Benno Ohnesorg und Arno Schmidt: mit solchen Werken sei Uwe Timm „in der Eliteliga der deutschen Schriftsteller und dabei doch bescheiden geblieben“, schrieb der Literaturkritiker Peter Mohr anlässlich des 75. Geburtstags. Aus diesem Anlass erschien auch die Textauswahl „Montaignes Turm“. Denn immer hat Uwe Timm sein literarisches Schaffen essayistisch begleitet, mit Texten über Schriftsteller und ihre Werke, über das Schreiben und über seine Beweggründe.

Titelgebend ist der Essay „Montaignes Turm“ geworden, die Betrachtung über das kleine Turmzimmer seines Schlosses, in den sich Michel de Montaigne zurückzog, umgeben von seiner Bibliothek. Hier schaute Montaigne vom Turmfenster in den Garten, gab sich seinen Gedankenreisen hin und schrieb sie als berühmtgewordene „Versuche“, „essais“ nieder - anspruchsvolle Prosatexte, geprägt von einer Offenheit des Fragens und Suchens. Türme, für Timm sind das Symbole für Abgrenzung und Offenheit zugleich, für innere Einkehr und Blick nach außen.

Ein Turmzimmer, das hat sich Uwe Timm schon als Kind gewünscht. Heute hat er sein Arbeitszimmer in einem rechteckigen Turm - mit Blick auf den Englischen Garten. „Türmer“ müsse der Schriftsteller sein, „der aus der Distanz blickt und berichtet und der die Zurückgezogenheit für seine Arbeit braucht“.

Herzlich willkommen beim 12. Eifel-Literatur-Festival 2016,

herzlich willkommen im Atrium des Cusanus-Gymnasiums Wittlich:

der literarische Türmer und Zeitwächter Uwe Timm.