Festivalarchiv 2006 bis 2018

Einführungsrede zu Peter Rühmkorf

Die Gedichte des Freiherrn von Eichendorff gelten vielen als Inbegriff romantischer Dichtung.
Mit ihrer Evokation von Sehnsucht und Melancholie, von Ferne und Weite, vom Entgrenzungslust und Verzauberungssehnsucht.
Eichendorffs Gedicht „Sehnsucht“ gehört so zum lyrischen Kernbestand oder sein Gedicht „Mondnacht“ und für einige sicher auch sein Lied „Das zerbrochene Ringlein“ aus dem Roman „Ahnung und Gegenwart“. So populär war es schon zu Lebzeiten Eichendorffs, dass man es häufig für ein Volkslied gehalten hat. Vom kühlen Grunde singt es und von einem Mühlenrad, vom zerbrochenen Ringlein als Symbol zerbrochener Treue, im Spannungsfeld von Zusammensein und Getrenntsein, von häuslicher Geborgenheit und unbehaustem Dasein, von Dauer und Vergänglichkeit bis hin zur Todessehnsucht.
Auf dieses Gedicht Eichendorffs hat Peter Rühmkorf einen Gegengesang geschrieben, betitelt „Auf eine Weise des Joseph von Eichendorff“. Erschienen 1962 in dem Gedichtband „Kunststücke - 50 Gedichte nebst einer Anleitung zum Widerspruch“.
Ein Gedicht, das in Anführungszeichen setzt und mit Fragezeichen versieht, das distanziert, variiert und parodiert und so gegen neoromantische Schwärmerei, gedankenlose Rückwärtsgewandtheit und Weltflucht der Adenauerschen Restaurationsepoche anschreibt.
„Auf eine Weise des Joseph Freiherrn von Eichendorff“, dieses Gedicht zeigt Peter Rühmkorf
- als einen gelehrten Autor, in den Traditionen deutscher Dichtung zuhause,
- als einen modernen, zeitkritischen, ja politischen Autor, der ideologische Irrwege ironisch aufs Korn nimmt, in aufklärerischer Absicht Gegenwartsbewusstsein entlarvt und so Perspektiven für eine bessere Zukunft eröffnet.
Rühmkorfs poetische Gegengesänge zur Überlieferung zählen zur mittleren Phase eines umfangreichen lyrischen Schaffens. Das mit dem Krisen- und Endzeitgefühl zwischen zwei Kriegen begann, zwischen dem zurückliegenden 2. Weltkrieg der Nazi-Barbarei und dem drohenden einer weltweiten atomaren Auseinandersetzung in Zeiten des Kalten Krieges. Und das seit Ende der 80er Jahre immer nachdenklicher und skeptischer auf eine unheilvolle Welt reagiert. Das ein Gefühl von Ohnmacht und Ausgeliefertsein artikuliert, das so gar nicht zu dem verbreiteten Rühmkorf-Bild eines „Bruder Lustig“ passen möchte.
Rühmkorf sei beides, das sagt uns die Lektüre seines umfangreichen Werkes, das sagt uns die Lektüre der nicht weniger umfangreichen Forschung: Rühmkorf sei beides - mal „Bruder Lustig“, Vagant und Gaukler, mal „Prediger mit der Schiebermütze“ und „Unheilprophet“. So schreibe er mit „gespaltener Feder“, sei ein „Schizograph“, immerwährend auf der Suche nach einer Balance zwischen den widersprüchlichsten schriftstellerischen Rollen. Ein „Hochseilartist“ sei er, bodenständig und abgehoben zugleich, ausgesetzt und für Momente doch innerlich zuhause, in sicherer Beobachtungsposition und immer doch auch abstürzgefährdet - im Spannungsfeld zwischen Poesie und Politik immer gut für Widersprüche und Widerstände.
Wer aus heutiger Sicht den Preisregen registriert, der Rühmkorfs Werk zuteil geworden ist, v.a. den bedeutendsten dt. Literaturpreis, den Büchner-Preis der darf nicht vergessen, wie lange er doch auf die große öffentliche Anerkennung und auf eine breite Leserresonanz hat warten müssen, und wie entbehrungsreich auch materiell dieser lange Weg zu literarischer Anerkennung und literarischem Ruhm gewesen ist.
Und wer die virtuose Feder bewundert oder die spielerisch-leichte Sprachakrobatik, der darf nicht vergessen, wie selbstquälerisch mühselig sich Rühmkorf seit Jahrzehnten schon selbst kleine Gedichtgebilde abringt.
Durchaus mühsam und entbehrungsreich hat er sich den Prädikaten der Literaturgeschichte entgegengeschrieben:
- einer der bedeutendsten Lyriker der deutschen Gegenwartsliteratur zu sein,
- ja, über die Lyrik hinaus, mit seinem Kultbuch „Die Jahre, die ihr kennt“ und seinen Tagebüchern „Tabu I“ und „Tabu II“ mit die wichtigsten Zeitromane unserer Tage geschrieben zu haben.
Mit den privaten wie öffentlichen Geschichtspanoramen „Tabu I“ der Wendezeit 1989 bis 1991 und „Tabu II“ der nicht minder spannenden Jahre 1971 und 1972, die Jahre der neuen Ostpolitik und des Misstrauensvotums gegen Willy Brandt und die Jahre des beginnenden Terrorismus in der Bundesrepublik.
Wer heute in den Literaturgeschichten blättert oder in den Hymnen, wie sie etwa zu seinem 75. Geburtstag im Jahre 2004 geschrieben worden sind, der findet Peter Rühmkorf in einem Atemzug genannt mit den Großen der deutschen Gegenwartsliteratur, mit Günter Grass und Hans Magnus Enzensberger.
Ja, Volker Weidermanns kurze Geschichte der deutschen Literatur seit 1945, die in den letzten Wochen so sehr Furore macht - sie wagt es sogar, Peter Rühmkorf als den „vielleicht besten“ dieser drei Dichter zu bewerten.
So begrüßen wir ganz herzlich und durchaus stolz am heutigen Abend auf Burg Dudeldorf als ein Urgestein der deutschen Gegenwartsliteratur Peter Rühmkorf.
Herzlich willkomen beim 7. Eifel-Literatur-Festival 2006!