Festivalarchiv 2006 bis 2018

Einführungsrede zu Ludwig Lugmeier

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
„Guten Abend, meine Damen und Herren.
Einer der beiden Angeklagten im Prozess um den größten Raubüberfall in der Kriminalgeschichte der Bundesrepublik, der 25-jährige Lugmeier, ist heute aus dem Frankfurter Gerichtsgebäude, wo gegen ihn verhandelt wurde, geflüchtet. Zusammen mit seinem Mitangeklagten Linden soll Lugmeier im Oktober 73 zwei Millionen Mark aus einem Transportwagen der Dresdner Bank geraubt haben.“
Das meldete die Tagesschau am 4. Februar 1976, und der, von dem diese Meldung handelte, der Supergangster, saß an jenem Abend selbst vor dem Bildschirm. Und war gewissermaßen ein weiteres Mal „auf dem Sprung“: ins Ausland, in den Untergrund.
Ein weiteres Mal also „auf dem Sprung“, nach jenem kühnen Fenstersprung aus dem Frankfurter Gerichtsgebäude.
Von einem Leben im sprunghaften Wechsel erzählt in seinem autobiographischen Buch „Der Mann, der aus dem Fenster sprang“.
Erzählt von der Enge in der oberbayerischen Provinz, am Kochelsee, also von Dorf, Kirche, Schule, Elternhaus - und immer auch von den Gegenwelten, von den Räumen der Freiheit, der Wildnis in der Natur, im Moor, in den Wäldern oder von den wilden Phantasiewelten zwischen zwei Buchdeckeln, von Piratenleben, Kämpfen, Schiffsüberfall.
So erstickend eng empfindet schon der junge Ludwig diese Welt, dass sein erster Ein-Bruch mit vierzehn -wie er schreibt - eigentlich zu einem Aus-Bruch wird, in verbotene Räume, ins Anders-Sein, in die verweigerte Anpassung, in die Welt dunkler und wilder Abenteuer hinein.
So sehr ersehnt, dass die Unfreiheit und Enge der Gefängniszelle wie eine Ankunft in der Gegenwelt wirkt, wie ein großer Zielhafen, - und freilich auch wieder als Startbahn für neue kriminelle Höhenflüge und Abstürze.
Es ist nicht der sprunghafte Wechsel eines abenteuerlichen Lebens allein, der den Reiz der Lugmeierschen Erinnerungen ausmacht.
Dieses Leben zwischen Angriff und Flucht,
zwischen Freiheitsgenuss und Haftmarathon,
zwischen großen Coups, globalen Mondänreisen nach London, Mexiko und den Bahamas und der kleinen Gefängniszelle.
Es ist vor allem die - schon von Elke Heidenreich beim Festivalauftakt in Prüm - gerühmte Erzählkraft Ludwig Lugmeiers. Der, ohne Selbststilisierung als Opfer und ohne nachträgliches moralisches Alibisuchen unpathetisch und nüchtern und doch wortstark und bildmächtig den Schattenzonen und Abgründen des Lebens nachspürt, nicht nur dem fünf Meter tiefen Abgrund und der mehr als schiefen Bahn vor dem Fenster des Frankfurter Gerichtsgebäudes an jenem Februartag 1976.
In der Tat zählt Lugmeiers Autobiographie „zu den eindringlichsten und literarisch gelungensten Texten über die Existenz als bewaffner Räuber, als Flüchtiger, als jemand „auf der anderen Seite“ und als jemand, der zu einem „Anderen wird“, nicht erst in der Grenzerfahrung des Überfalls - sondern auch beim Schreiben.
Und das wollte er im Knast vor allem: schreiben. Geschichten von Menschen, die extreme Erlebnisse hinter sich hatten. Also Geschichten von Mithäftlingen, also sein eigenes Leben. „Für einen, der schreiben will“, sagt Lugmeier, sei der Knast „eine außergewöhnliche Bereicherung“.
Und schreiben, sagt er, sei manchmal so „gefährlich wie ein Banküberfall“.
Dass eine solche Veranstaltung nicht zuletzt von den Kreissparkassen der Eifel gefördert wird, finde ich eine noble Geste des Verzeihens und der literarischen Anerkennung mehr als 30 Jahre danach.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
längst hat Ludwig Lugmeier den Absprung aus seiner kriminellen Vergangenheit geschafft, hat sich freigeschrieben nicht zuletzt in der Gefängniszelle. Seit dem nationalen Wendejahr 1989, seit 17 Jahren also ist auch er in Freiheit, und seit wenigen Stunden erstmals in der Eifel.
Und jetzt ist er - hoffentlich nicht nur auf einen Sprung - zu Gast beim 7. Eifel-Literatur-Festival 2006 - erstmals im „Tor zur Eifel“, in Mayen. Herzlich willkommen Ludwig Lugmeier.