Einführungsrede von Dr. Zierden zu Florian Illies
Dienstag, 9. September - Daun, Forum
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
„In ganz Europa gehen die Lichter aus, wir werden es nicht mehr erleben, daß sie angezündet werden.“ Der britische Außenpolitiker Sir Edward Greys war es, der diesen Satz ausgesprochen hat - am 3. August 1914, als der Erste Weltkrieg längst schon anrollte, als Deutschland bereits Russland und Frankreich den Krieg erklärt hatte.
Der Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren, 1914 - kein Ereignis ist derzeit so medienpräsent wie diese „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“. Ob Zeitungen oder Magazine, ob Neuauflagen von Buchklassikern oder auflagenstarke Neuerscheinungen: ganze Bibliotheken kann man füllen mit dem historischen Mega-Thema dieses Jahres. 1914 als „Schicksalsjahr des 20. Jahrhunderts“ - da könnte das Vorgängerjahr 1913 in der öffentlichen Aufmerksamkeit leicht untergehen.
Wäre da nicht ein Autor wie Florian Illies, wäre da nicht ein Buch wie „1913 - Der Sommer des Jahrhunderts“. „Einen Moment höchster Blüte und zugleich ein Hochamt des Untergangs“ nennt der Klappentext dieses Jahr. Auch wenn die Monatsfolge eine chronologisch wohlgeordnete Hauptschneise durch das Jahr 1913 schlägt: Entfaltet wird dieses ganz besondere Jahr 1913 in Hunderten von flirrenden Textpartikeln, großen und kleinen, thematisch und personell ähnlich oder verschieden, Kontinuitäten nachspürend ebenso wie Diskontinutäten. Die Collageform ist es, welche die Einheit des Verschiedenartigen stiftet - eine sinnige Methode für ein Jahr der Extreme, der Gegensätze, der ungeheuren Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, der merkwürdigen Verbundenheit noch des Unzusammenhängenden. Collageform als Strukturprinzip - das macht Sinn erst recht für ein Jahr, in dem Picasso die Collage-Technik in den Kubismus eingeführt hat. Das hat Florian Illies in einem Exclusiv-Interview mit dem Eifel-Literatur-Festival verraten, nachzulesen auf unserer Website. Da lässt er auch keinen Zweifel, dass er das Jahr 1913 als einen „Kulminationspunkt der Moderne“ sieht, vielleicht sogar als „das zentrale Jahr der Moderne“. Ob Kunst, Literatur oder Musik, ob Architektur, Film, Philosophie oder Mode: Hauptwerke und Meisterwerke entstehen, Monumentalwerke, Jahrhundertwerke. Grundlagen der Moderne. Die Superlative feiern Feste, Neuerungen und Revolutionen sind an der Tagesordnung - im Wirbel der Orte, der Persönlichkeiten und Werke. Im Kampf der Generationen, der Geschlechter, der künstlerischen und wissenschaftlichen Weltdeutungen und Menschenbilder. Freilich: die Kriegsgefahr überschattet immer wieder das Jahr, durch Balkankrisen, militärische Aufrüstung oder durch rhetorisches Säbelrasseln, in dem das Wort „Frieden“ keinen Platz mehr hat. Auch wenn der britische Schriftsteller und Publizist Norman Angell in seinem Weltbestseller „The Great Illusion“ jede Kriegsgefahr kleinschreibt. Auch wenn der deutsche Schriftsteller und Naturfoscher Wilhelm Bölsche biologisch-moralisch den Nachweis zu erbringen sucht, dass die Welt künftig keinen Krieg mehr führen werde. Derweil malt Franz Marc schon die Hölle, bannt Ludwig Meidner schon „Visionen des Grauens“, „apokalyptische Landschaften“ auf die Leinwand.
Und haben wir im schicksalsschweren Jahr 1913 nicht mit Hitler, Stalin und Tito schon die „größten Tyrannen des 20. Jahrhunderts“ gleichzeitig in Wien gesehen? In jungen Jahren noch, als Postkartenmaler, als untergetauchter Revolutionär und als Automechaniker?
Katastrophen kündigen sich an, auch wenn die für sensible Künstlernaturen schon mal im Schnupfen bestehen können.
Was für ein Jahr - dieses Jahr 1913: als Schlankheit in der Damenmode noch als betrüblicher Schicksalsschlag galt, als man die Ozonschicht entdeckte, übrigens noch vollkommen intakt, und als in Berlin etwas heute Undenkbares gelang: die Fertigstellung einer Großbaustelle in der Rekordzeit von 200 Tagen, drei Jahre früher als geplant. Gemeint ist der Bau des Deutschen Stadions für die nach Berlin vergebenen Olympischen Spiele 2016 - die wegen des Ersten Weltkriegs freilich ausfallen mussten.
Was für ein Jahr, was für ein Buch - was für ein Autor. Herzlich willkommen beim 11. Eifel-Literatur-Festival 2014, herzlich willkommen im Forum Daun - der Journalist, Galerist und Buchautor, der Meister der magischen Textcollage: Florian Illies.