Festivalarchiv 2006 bis 2018

Einführungsrede zu Dirk Sager am 16. Mai 2008 in Bitburg

Einführung von Dr. Josef Zierden, Eifel-Literatur-Festival

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Panzer rasseln über den Roten Platz. Schwere Bomber dröhnen am Himmel. Tausende Soldaten brüllen „Hurra!“. Eine Militärparade wie zu alten sowjetischen Zeiten, erstmals seit 1990 wieder mit schwerem Kriegsgerät.
Die Siegesparade in Moskau am 9. Mai 2008, zum Jahrestag der Kapitulation von Nazi-Deutschland 1945: sie war eine Demonstration militärischer Stärke des Landes und wieder einmal seines Weltmachtanspruchs.
Auf der Ehrentribüne, gegenüber dem Lenin-Mausoleum, Seite an Seite: Russlands neuer Präsident Dmitri Medwedew und der neue Premier Wladimir Putin, seit zwei Tagen im Amt.
Es ist Geschichte geschrieben worden im Russland dieser Tage: mit dem Wechsel im Amt des Präsidenten am 7. Mai 2008, mit den Präsidentschaftswahlen am 2. März und mit den Dumawahlen im Dezember 2007. Grund genug für Rückblick und Ausblick, für Bilanzen und Prognosen.
Mit Dirk Sager unternimmt einer der renommiertesten Fernsehjournalisten Deutschlands einen Rückblick auf die Präsidentenjahre von Wladimir Putin, die vor genau acht Jahren begonnen haben.
Die Bilanz einer Ära, die tiefe Spuren in der russischen Geschichte hinterlassen hat. Die nach dem Niedergang und dem Zerfall des alten Sowjetimperiums den Wiederaufstieg Russlands begründet, sein Weltmachtstreben neu entfacht hat. Freilich um den Preis einer autoritären Herrschaft, die alles außer Kraft gesetzt hat, was Demokratie ausmacht. Eine „imitierte Demokratie“ allenfalls oder eine „gelenkte Demokratie“ oder ein „quasidemokratischer Autoritarismus, der demokratische Rituale zur Legitimation nutze“, wie Sager im Kapitel „Demokratie mit Adjektiven“ bilanziert. Also niemals eine wirkliche Demokratie und niemals das, was Gasprom-Altkanzler Schröder Putin attestierte: „eine lupenreine Demokratie“.
Aus seiner Enttäuschung über diese Entwicklung macht Dirk Sager in seinem jüngsten Buch „Pulverfass Russland“ keinen Hehl, auch nicht aus seiner Beklemmung beim Blick in die Zukunft.
Dirk Sagers Wort hat Gewicht, berichtete der gebürtige Hamburger doch von 1980 bis 2004, mit Unterbrechungen, aus dem ZDF-Studio Moskau. Von 1974 bis 1978 war er ZDF-Korrespondent in der DDR, ging dann zwei Jahre für das ZDF nach Washington. Von 1984 bis 1990 leitete Sager das Magazin „Kennzeichen D“. Heute ist Sager Sonderkorrespondent des ZDF mit der Lizenz zu faszinierenden Reisereportagen.
2002 wurde er mit dem angesehenen Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis ausgezeichnet - mit der Begründung, Sager habe in seinen brillanten Filmen wie in seinen engagierten Live-Berichten nie nur die Meinungen der Mächtigen, sondern immer auch die Stimmen der machtlos leidenden Menschen vernehmbar gemacht.
Immer wieder habe er sich in Gefahr begeben, um eine mörderische Aggression beim Namen zu nennen und nie habe eine neue Niederlage der Menschlichkeit ihn kalt gelassen. Und Dirk Sager habe den Mut, auch einmal zu sagen, dass er etwas nicht wisse.
Dass er sehr viel weiß, dass er gründlich zu recherchieren, klug zu analysieren und abgewogen zu beurteilen versteht, das hat er auch als Buchautor bewiesen, immer wieder mit Büchern zu Russland.
„Betrogenes Russland“ heißt ein Buch aus dem Jahre 1996 zu Jelzins gescheiterter Demokratie.
In seinem Buch „Russlands hoher Norden“ unternimmt Sager eine 9000 km lange, ungewöhnliche Reise von St. Petersburg ans Polarmeer. Da rückt nicht nur die märchenhafte Schönheit des Nordens in den Blick, sondern immer auch die russische Geschichte mit den Spuren grausamer Zarenherrschaft und den Spuren des Stalinschen Terrors. Und vor allem rückt er die Menschen in den Blick, die von dieser Geschichte getroffen und gezeichnet sind.
In seinem Buch „Berlin - Saigon“ unternimmt er, jenseits der großen Touristenströme, gar eine Eisenbahnreise um die halbe Welt: 16.000 Kilometer mit der Bahn, die weiteste Reise auf Schienen, die von Deutschlands Hauptstadt aus möglich ist. Quer durch Polen, Weißrussland und Russland bis hin zu unbekannten chinesischen Millionenstädten. Er folgt der Route Marco Polos auf der alten Seidenstraße nach China, er erlebt den Zauber der Wüste Gobi, die Dschingis Khan einst beherrschte. Eine abenteuerliche Reise, die von der märchenhaften Schönheit des Osten ebenso zeugt wie von der Faszination asiatischer Kultur und Geschichte. Die sich auf Spurensuche macht in den ehemaligen Reichen der Diktatoren Hitler, Stalin und Mao und von jenen erzählt, die die langen Schatten der Diktatur hinter sich gelassen haben.
16 000 Kilometer mit der Eisenbahn, eine Reise in die andere Hälfte der Welt - da war die Anreise von Berlin in die Eifel am heutigen Tage allenfalls ein „Katzensprung“.
Herzlich willkommen beim 8. Eifel-Literatur-Festival 2008 im Haus Beda zu Bitburg - herzlich willkommen Dirk Sager!