Festivalarchiv 2006 bis 2018

Einführungsrede zu Alice Schwarzer und Barbara Maia

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

mit Rhett Butler fing alles an - mit jenem draufgängerischen Abenteurer und Frauenhelden aus dem legendären Weltbestseller „Vom Winde verweht“ von Margret Mitchell. Eine Paraderolle für den Hollywood-Star Clark Gable in der legendären Verfilmung der 30er Jahre, die bis heute Millionen von Frauenherzen dahinschmelzen lässt.
Die vergleichende Erinnerung an Rhett Butler,
die schwärmerische Zuneigung der jungen Barbara Maia zu einem attraktiven Mann an der morgendlichen Bushaltestelle, der „ein ironisches Lächeln“ gehabt haben muss „so wie Rhett Butler“ - diese Erinnerung steht am Anfang der Frauenfreundschaft zwischen Alice Schwarzer und Barbara Maia in den späten 50er und frühen 60er Jahren in Wuppertal.
Und sie steht am Anfang des Briefwechsels 40 Jahre danach, 2005 als Buch veröffentlicht unter dem Titel „Liebe Alice! Liebe Barbara! Briefe an die beste Freundin“.
Ein Briefwechsel, vom Dezember 2003 bis zum September 2004 geführt: er dokumentiert Anfang und Ende einer innigen Frauenfreundschaft - und schließlich ihre Wiedergeburt nach rund 40 Jahren. Frauenfreundschaft, zerbrechlich wie zäh, immer wieder bedroht durch Männerliebe oder Frauenkonkurrenz - in aufregenden wie in verwirrenden, in wilden wie in braven Jugendjahren.
Gespiegelt in einem Briefwechsel von über-persönlicher Bedeutung - als ein Stück Autobiografie von Alice Schwarzer, reizvoll im Doppel-Spiegel erinnert, und als ein lebendiger Beitrag zur Zeitgeschichte der 50er und 60er Jahre.
Wie und warum Alice Schwarzer wurde, was sie heute ist; gegen welche Widerstände man als junge Frau noch vor rund 40 Jahren kämpfen musste, in der männerdominierten Wuppertaler Provinz der Adenauerschen Nachkriegszeit - das kann hier Brief für Brief, Erinnerung für Erinnerung nachgelesen werden.
Eine Jugend, gemeinsam erlebt und für immer prägend, nicht nur trümmer-traurig und mief- und muffbeladen, sondern immer auch wild und unbeschwert: mit den ersten Jeans und knappen Röcken, mit Mädchencliquen und ersten Dates, mit Milchbar, Jazzkeller und Rock’n Roll.
Als Rebellen wie Elvis Presley und James Dean Triumphe feierten, als Marilyn Monroe, Brigitte Bardot und Hildegard Knef zu Leinwandgöttinnen avancierten.
Als man von O.W. Fischer schwärmte, unrasiert, mit Zigarette im Mundwinkel und ironischem Blick.
Und als nicht nur Alice Schwarzer in Tränen ausbrach beim Tod des Jugend-Idols James Dean - am 30. September 1955 in Kalifornien, in den Trümmern seines Porsches am Baum.
Persönlich wie nie begegnet uns da Alice Schwarzer in der Korrespondenz mit ihrer besten Freundin Barbara Maia, im Spannungsfeld von Selbstbild und Fremdsicht - jenseits aller Klischees.
Alice Schwarzer heute - längst gilt sie als die bekannteste deutsche Feministin, als „Aushängeschild“, als „Schlüsselfigur“, als „Gallionsfigur“, ja als „Ikone“ der Neuen Frauenbewegung in Deutschland, als „Superfrau“ der Emanzipationsbewegung.
Mutig wie vor 40 Jahren, engagiert, profiliert, streitlustig - als Autorin, Publizistin oder Verlegerin, in Talkshows oder TV-Duellen mit Esther Vilar oder Verona Feldbusch ebenso wie in den rund 40 Büchern, die sie seit den 70er Jahren geschrieben oder herausgegeben hat. Nicht zu vergessen die von Alice Schwarzer gegründete Frauenzeitschrift „Emma“, die 2007, in wenigen Wochen, ihr 30jähriges Bestehen feiern kann.
Alice Schwarzer - sie ist längst schon eine feste Institution geworden, weit über die Bundesrepublik hinaus - mit Verdiensten, die von Historikern längst schon bilanziert worden sind.
Was historisch bilanziert ist, ist freilich nicht auf ewig gesichert. Will sagen: die Emanzipation ist auch in unserer Zeit beständig von Rückschlägen bedroht. Oder noch klarer formuliert: Alice Schwarzer und ihre Mitstreiterinnen gehören noch lange nicht auf das Altenteil der Geschichte.
Man denke nur an Miss Tagesschau“ Eva Hermann und ihr aktuelles Plädoyer „für die Rückkehr zur Weiblichkeit und zu den eigentlichen Stärken der Frau“. Feminismus wird da als Irrtum, die Selbstverwirklichung der Frau im Spagat von Privatleben und Karriere, von Kindern und Beruf als Lebenslüge angeprangert.
Man denke an die aktuelle Debatte um „Spätabtreibungen“, ein mögliches Einfallstor zur Abschaffung der § 218-Reform - jener Reform, für deren Durchsetzung Alice Schwarzer Anfang der 70er Jahren mit spektakulären Kampagnen gekämpft hatte, im „Stern“ wie auf der Straße, zusammen mit Hunderttausenden von Frauen von Kiel bis Konstanz.
„Soll das alles wieder von vorne losgehen?“ fragt Alice Schwarzer daher besorgt im Editorial der jüngsten, der November/Dezember-Ausgabe 2006 von „Emma“.
Ein Lichtblick ist da für Alice Schwarzer schon eher die feministische Streitschrift „Die neue F-Klasse. Wie die Zukunft von Frauen gemacht wird“ der bisher eher als Krimi-Autorin und SWR-Moderatorin bekannten Thea Dorn. Die formuliert, ausgehend von Interviews mit meinungsmachenden Frauen, eine neue Agenda der Frauenbewegung in einer Zeit
- in der doch die großen Gleichstellungskämpfe längst ausgefochten sein sollten,
- in der wir zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik eine Bundeskanzlerin haben und eine Generalbundesanwältin dazu,
- in der wir sogar Fußballweltmeisterin sind.
Auch da wird Alice Schwarzer gebraucht - wenn eine neue Klasse erfolgreicher Frauen ihr Selbstverständnis formuliert, nicht um das Rad der Emanzipation neu zu erfinden, sondern um es „zu entrosten und wieder in Schwung zu bringen“.
Für Klasse-Frauen, die neue Wege gehen zwischen dem 70er-Jahre-Feminismus und Karriere.
Die im Widerstreit stürmischer Forderungen stehen wie „Du musst die Deutschen vor dem Aussterben bewahren!“ und „Du musst die erste Chefin von Daimler-Chrysler werden!“
Bei so viel aktuellen Tageskämpfen sind wir froh, Alice Schwarzer einmal mehr, ein zweites Mal nach 2003, beim Eifel-Literatur-Festival begrüßen zu können, gemeinsam mit ihrer Freundin Barbara Maia.
Blicken wir mit ihnen zurück - und immer nach vorn!
Herzlich willkommen also beim Finale des Eifel-Literatur-Festivals 2006 in der Aula der Hauptschule Prüm: Alice Schwarzer und ihre „beste Freundin“ Barbara Maia.