Festivalarchiv 2006 bis 2018

Petra Gerster am 21.05.2008 in Prüm

Einführung von Dr. Josef Zierden, Eifel-Literatur-Festival

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

man mag es eine „Zäsur“ nennen, eine „biologische Schwelle“ oder „eine Art Demarkationslinie für einen neuen Lebensabschnitt“: der Einschnitt, den der 50. Geburtstag, die Fünf vor der Jahreszahl, markiert, dieser Einschnitt ist tief.
Für viele bedeutet er: das Jungsein endet, das Altwerden beginnt. Für eine Frau vielleicht noch mehr als für einen Mann, und besonders gnadenlos wohl für eine Fernsehfrau. Gerade sie mag alt werden dürfen, aber ansehen darf man es ihr nicht. Jung und schön hat sie zu sein, will sie nicht Gefahr laufen, vom Bildschirm genommen zu werden. Da müssen dann perfektes Studiolicht und raffinierte Weichzeichner nachhelfen, da winken schon von ferne Facelifting, Spritzen und Hormone.
Während Schönheit und Kräfte schwinden und der Körper abbaut, während sich Falten ins Gesicht graben und die Haut erschlafft, wachsen so Ängste und Verunsicherungen. „Altern ist kein Vergnügen, und es wird nicht dadurch vergnüglicher, dass man sich fröhlich darüber hinweglügt“, heißt einer der Kernsätze in Petra Gerster aktuellem Buch „Reifeprüfung. Die Frau von 50 Jahren“. Ein anderer: „Alter ist kein Verdienst, aber eine Schande ist es auch nicht und schon gar keine Krankheit“.
Und: Man jubele nicht, wenn man fünfzig werde, aber man stürze sich deshalb auch nicht aus dem Fenster.
Ihr Vater hat es einmal deftiger und kürzer ausgedrückt: „Altwerden ist Scheiße“, klagte er deprimiert, nachdem er erleben musste, wie eine junge Frau im Bus für ihn aufstand.
Für ihn - damals zwischen fünfzig und sechzig Jahre alt - für ihn, der schöne junge Frauen so sehr liebte und so gerne mit ihnen flirtete. Hinfällig und alt erschien er auch den Kinder mit einem Mal, als er über die Straße schlurfte, ohne dass sie ihn gleich erkannten.
Da sind wir schon bei den Kränkungen und Schrecken des Alters, bei den Altersängsten und Alterskrisen, beim Abschied von der Illusion ewiger Jugend. Die auch von der Werbeindustrie genährt wird, die alles auszublenden pflegt, was an „Alter“ erinnert: Armut, Not, Elend, Krankheit und Tod, die Sterblichkeit des Menschen, die Endlichkeit unserer Existenz.
Von wegen „beste Jahre des Lebens“. Ist nicht doch mit fünfzig „das Leben gelaufen“, wie es Petra Gerster als 13 Jährige beim 50. Geburtstag der Mutter 1968 empfand? Ist nicht doch der Zenit des Lebens überschritten?
„Reifeprüfung. Die Frau von 50 Jahren“ heißt das Buch, mit dem Petra Gerster das Thema „Älterwerden“ aufgreift. Ein Titel gleich mit zwei Zitatanspielungen.
Zunächst auf jenen berühmten Film mit Dustin Hoffman, in dem er den Collegeabsolventen Benjamin Braddock spielt, der von der deutlich älteren Mrs. Robinson verführt wird - „Dear Mrs. Robinson“, in wem klingt hier nicht das legendäre Lied von Simon & Garfunkel.
Der Untertitel „Die Frau von fünfzig Jahren“ verweist wohl - con variatione - auf Goethes Novelle, in der sich „Ein Mann von fünfzig Jahren“ in eine viel zu junge Frau verliebt.
Festivalbesucher erinnern sich hier an den Festivalauftakt mit Martin Walser und seinen Goethe-Roman „Ein liebender Mann“, an die letzte große Leidenschaft eines großen alten Dichters zu einer 54 Jahre jüngeren Frau. An den Höhenrausch der Liebe, der im Abgrund des Alters endete.
Immer wieder merkt man die studierte Literaturwissenschaftlerin, wenn sie dem Alter im Spiegel der Literatur nachspürt, von Thomas Mann bis Oscar Wilde, von Max Frisch bis Elke Heidenreich
und eben von Goethe bis Walser und Genazino, auch Letzterer Gast des Eifel-Literatur-Festivals 2008.
Autobiographische Lebensbilanz eines 50er-Jahre Mädchens, episodenreiche Spiegelung eines frauenbewegten Lebens, Dokument des Lebensgefühls der 68er-Generation, eine berührende wie schockierende und engagierte Auseinandersetzung mit dem Thema „Altern“, eine Kampfansage an das Diktat der Faltenlosigkeit, an die Altersdiskriminierung der Frau, ein Mutmacher fürs Alter, Reflexionen über das Altern als Erntezeit, eine engagierte Skizze des dornigen Wegs zur Gelassenheit im Alter - das alles ist das Buch des heutigen Festivalabends, Petra Gerster „Reifeprüfung“.
Das anregende Buch eines der ältesten und bekanntesten und attraktivsten Moderatorinnen des ZDF, die mit der „Goldenen Kamera“ für „Glaubwürdigkeit im deutschen Fernsehen“ ausgezeichnet wurde, mit dem Burda-Medienpreis „Bambi“ und dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis für Fernsehjournalismus;
das anregende Buch der Anchorman des ZDF, der Fahnenträgerin im Kampf gegen Altersdiskriminierung, der wegweisenden Tabubrecherin beim Thema „Frauen im Alter“, einer Mutmacherin fürs Alter - herzlich willkommen beim 8. Eifel-Literatur-Festival 2008 in Prüm, herzlich willkommen in der Karolingerhalle - Petra Gerster!