Festivalarchiv 2006 bis 2018

Einführungsrede Dr. Josef Zierden zu Dieter Moor

Gerolstein, 24.08.2012

„Es gibt Länder, wo was los ist. Es gibt Länder, wo richtig was los ist... und es gibt Brandenburg... Brandenburg“. So singt der Liedermacher und Kabarettist Rainald Grebe in seiner Bundesland-Hymne „Brandenburg“. Bei You tube wurde das Musikvideo bisher fast 6 Mio. mal aufgerufen, seit 2006.

Und ausgerechnet für einen Bauernhof in diesem Brandenburg, genauer im Dörfchen Hirschfelde im Landkreis Barnim, eine Autostunde nordöstlich von Berlin - ausgerechnet dafür gaben Dieter Moor und seine Frau Sonja ihr bisheriges Zuhause auf,  eine Schweizer Postkartenidyll im Zürcher Oberland.

Für einen Landstrich, vor dem sie jeder gewarnt hat: Wegen der rekordmäßig hohen Arbeitslosigkeit. Wegen der Landflucht, die nur Loser, Alte, Gescheiterte und Kaputte zurücklasse. Wegen der „Alkoholiker und Neonazis“. Wegen der „dumpen Ossis“, der untergegangenen DDR.

Es ist ein weiter Weg, mehr als nur die mehrfach gefahrenen 800, 900 Umzugskilometer, bis der Schweizer Schauspieler und Moderator Dieter Moor und seine Frau Sonja, Filmproduzentin, in ihrem neuen Zuhause im Brandenburgischen wirklich ankommen.

Ein steiniger Weg, so sandig die Böden im Brandenburgischen auch sein mögen. Ein Weg von West nach Ost, von der Stadt aufs Land. Idyllefrei. Reich an Tristesse.

Das Kranke-Hunde-Kackfarbene des Hofes. Ein eisernes schwarzes Tor, wie bei einer Strafanstalt. Lieblose Fenster. Marode Hofmauern. Marode Dächer auf Stall und Scheune.

Dazu das „Gegröle, Gelächter und Flaschengeklirre“ feiernder Fußballfans im nahen Gemeindehaus.
Ein nahes Flugplatzgelände mit vorprogrammiertem Fluglärm, alternativ mit Lärm von tagelangen Technoparties.
Gelegen an einer Landstraße, die von morgens sechs bis abends sechs gigantische Blechlawinen zu verkraften hat.
Da mag das Dorf im Buch auch den fiktiven Namen „Amerika“ tragen: vor Aufbruch und Neuanfang in einem Landstrich unbegrenzter Möglichkeiten stehen erst einmal tiefe Enttäuschung und Frust.
Von wegen Garten Eden. Von wegen Landidylle.

Eine überschaubare Welt: Gerade eine knappe Autominute trennt das Ortseingangsschild vom Ortsausgangsschild.
Und doch: unüberschaubar groß sind die Schwierigkeiten und Herausforderungen für die beiden Neuankömmlinge in Brandenburg, in Brandenburg.

Wie man da noch den Humor behalten kann.
Wie man sich da noch humorvoll, liebevoll und respektvoll den als „Jammerossis“ verschrieenen Einheimischen nähern kann. Wie sich da die anfängliche Tristesse wandelt im märkischen Hirschfelde.

Wie man immer mit den knorrigen Dorftypen vertraut wird: mit Bauer Müsebeck und seinem unschweizerischen Zeitverständnis. Mit Frau Widdel vom Konsum und ihrer Abneigung gegen Frischmilch. Mit der couragierten Schwester Alma, der langjährigen Hebamme des Dorfes. Mit dem eingefleischten Junggesellen Teddy und seinem programmhaften T-shirt „No woman, no cry“. Mit dem Pferdegott Krüpki. Mit der Männerlegende Rambo. Mit dem Eingemauerten, der Anzeigen hageln lässt.

So begrenzt die Welt, so unbegrenzt erscheinen dann doch zunehmend die Möglichkeiten in diesem kleinen brandenburgischen Dörfchen mit dem großen Namen „Amerika“. Das nichts vom „großen Teich“ weiß, umso mehr aber vom kleinen Teich - einer Dorfpfuhle, in der sich einst Gänse und Enten und Kinder vergnügten und der die Feuerwehr das Löschwasser zu entnehmen pflegte.

So sehr vergessen wir im Laufe der Buchlektüre von „Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht“ die Negativklischees über Brandenburg, dass wir am Ende fast fragen, ob der harte bäuerliche Alltag in Amerika nicht schon zu sehr in märchenhaft-idyllisches Licht getaucht worden ist.

Dieter Moor jedenfalls und seine Frau Sonja haben in Amerika ihre Heimat gefunden - in der kleinen Welt, die mit Moors Buch so groß herausgekommen ist.

Seit fast 200 Wochen ist es Dauergast auf den Bestsellerlisten, diese Hymne auf das Landleben, diese Ode an Brandenburg.

Die so ganz anders klingt als der Abgesang auf Brandenburg , des Liedermachers und Kabarettisten Reinald Grebe, den ich eingangs zitiert habe.

So begrüßen wir heute Abend einen Mann, der sich mit dem Bio-Bauernhof in Brandenburg einen Kindheitstraum erfüllt hat. Der Brandenburg als ein Pionierland voller Chancen entdeckt hat.

Der sich im Wechselleben zwischen Stall und Studio, zwischen Kultur und Agrikultur derzeit wohler fühlt als zu Beginn der 90 er Jahre, als er sich einen Namen als der „Harald Schmidt des Schweizer Fernsehens“ gemacht hat.

Herzlich willkommen beim 10. Eifel-Literatur-Festival 2012,
herzlich willkommen in der Stadthalle Rondell zu Gerolstein -
einer der bekanntesten Kultur-Moderatoren des deutschen Fernsehens, Sonntag für Sonntag auf der Mattscheibe zu Gast mit dem ARD-Kulturmagazin „Titel Thesen Temperamente“ - der Autor, Moderator, Schauspieler und Brandenburgs, was sage ich: Deutschlands bekanntester Teilzeitbauer - Dieter Moor.