Festivalarchiv 2006 bis 2018

Gestern wird zur Gegenwart - Exclusiv-Interview mit Florian Illies

24.08.2014

Florian IlliesBuchporträt und Festival-Interview zu: Florian Illies, „1913“

Florian Illies lässt in seinem Bestseller „1913“ ein außergewöhnliches Jahr aufleben – am Dienstag, 9. September,  liest er in Daun

In seinem aktuellen Platz-1-Spiegel-Bestsellerbuch „1913. Der Sommer des Jahrhunderts“ zeichnet Florian Illies das atemberaubende Porträt eines einzigartigen Jahres. In ihm prallt das lange 19. auf das kurze 20. Jahrhundert der Kriege und Extreme. In elegant erzählten und miteinander verknüpften Begebenheit lässt Illies dieses Jahr 1913 in einem grandiosen Panorama lebendig werden - einen Moment höchster Blüte und zugleich ein erstes Flackern des Untergangs.

Am 9. September ist Florian Illies mit „1913“ zu Gast beim Eifel Literatur Festival im Forum Daun.

Über 1913 lag bislang der Schatten des Folgejahrs, in dem der Erste Weltkrieg begann. Weitgehend ausgeblendet aus geschichtlicher Betrachtung hing diesem Jahr bestenfalls die Vorstellung einer Art Endzeit an. Von diesem Ballast hat sich Florian Illies befreit, genau hingeschaut und viele Überraschungen zutage gefördert. Die größte ist wohl, dass 1913 ein Jahr der Anfänge ist, dass sich ausgerechnet hier kulturelle Schlüsselereignisse häufen: Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ wird in Paris uraufgeführt. Große Literaten wie James Joyce, Marcel Proust, Thomas Mann, Franz Kafka und Robert Musil arbeiten in diesem Jahr an ihren Hauptwerken. In der bildenden Kunst ist es nicht anders, bei Picasso, Matisse, Kirchner und vielen anderen entstehen Arbeiten, die letztlich das Jahrhundert prägen. Kasimir Malewitsch zum Beispiel malt sein schwarzes Quadrat. Von alldem erzählt Florian Illies in zwölf Monatskapiteln, die wie schnell gegeneinander geschnittene Filmszenen gebaut sind. Es reihen sich Episoden und Anekdoten aneinander, die manchmal nur einen Satz und nur selten mehr als zwei Seiten umfassen. Gerade noch ist der Schauplatz Wien, dann plötzlich Berlin, Paris oder München. Als Leser erkennt man verblüfft, was sich an diesen Orten in diesem Jahr 1913 gleichzeitig zutrug. Und man lernt die Hauptdarsteller dieser Ereignisse, die kulturelle Avantgarde jener Zeit, von einer ganz neuen Seite kennen. Florian Illies zeichnet sie über aussagekräftige Anekdoten und mit einer feinen Prise Humor als Menschen, die sehr von persönlichen Macken und Passionen eingenommen waren. Von Oskar Kokoschka zum Beispiel erfahren wir, dass er aus Eifersucht bis nachts um 4 Uhr vor dem Haus seiner Geliebten Alma Mahler wachte, von Franz Kafka, dass er sich freiwillig beim Gemüsebauern zum Unkraut jäten meldet, um seinen Burn-Out, damals Neurasthenie genannt, zu kurieren. Mit diesen Porträtsplittern erklärt Illies, welche persönlichen Motive und Befindlichkeiten zur Entstehung weltberühmter Werke geführt haben. Und er transportiert damit einiges vom Lebensgefühl im durch zunehmende Beschleunigung gekennzeichneten Aufbruch in die Moderne. Wie weit der 1913 schon gediehen war, wird sehr anschaulich in Erzählungen über die Lebensführung der Künstler und Intellektuellen. Unkonventionelle und freie Beziehungen waren bei ihnen genauso an der Tagesordnung wie globale Vernetzung. Florian Illies bietet mit seinem Buch den Blick durch ein vielfarbiges Kaleidoskop, der hundert Jahre zwischen damals und heute als bloßen Wimpernschlag erscheinen lässt.

Am Dienstag, 9. September, kommt Florian Illies mit seinem Bestseller zum Eifel Literatur Festival ins Forum Daun. Im Vorfeld hat er dazu ein kleines Interview gegeben:

Was hat Sie dazu inspiriert oder bewogen, die Collage-Form für Ihr Buch zu wählen? Und was transportiert diese Form besonders gut?

Die Tatsache, dass die Collage von Picasso 1913 in den Kubismus eingeführt wurde, machte diese Technik für mich besonders stimmig, um das ganze Jahr zu erfassen. Mir scheint, es ist die ideale Form, dieses besondere Jahr, seine Geschwindigkeit, seine unzusammenhängende Verbundenheit auszudrücken. Und, nicht zu vergessen, auch für den Leser ermöglicht dieses Prinzip immer wieder die Chance, Atem zu holen. Nicht unwichtig, bei diesem atemlosen Jahr.


Sie haben die Geschichte des Jahres 1913 erzählt, in dem sie die Menschen hinter großen Namen der Kulturgeschichte zutage gefördert und wie ein Zeitgenosse einen Blick auf ihre Befindlichkeiten geworfen haben. Was war daran für Sie besonders interessant?

Ja, was 100 Jahre zurück liegt, könnte auch gestern passiert sein, das war eine der vielen Überraschungen für mich als Autor. Unsere Gegenwart hat 1913 begonnen, so scheint es mir – oder sie wurde 1914 durch den Ersten Weltkrieg abrupt unterbrochen. Mein Ziel war es, durch das Präsenz und die Lektüre unzähliger Tagebücher und Briefe hinein zu tauchen in dieses Jahr als sei ich ein Zeitgenosse und aus dem Jahr 1913 heraus zu erzählen, nicht von heute aus.

War Ihnen eigentlich schon vor der Arbeit am Buch klar, dass 1913 in gewisser Weise ein Kulminationspunkt der Moderne war?

Ja, als ich merkte, dass sowohl das erste Ready Made von Duchamp als auch das erste Schwarze Quadrat von Malewitsch im Jahre 1913 entstanden, wusste ich, dass dies eines der zentralen, wenn nicht das zentrale Jahr der Moderne war.


Wenn man in hundert Jahren ein solches Buch über uns schreiben würde, wäre da wohl auch von einer so richtungsweisenden Avantgarde und so bahnbrechenden Neuerungen die Rede, was glauben Sie?

Oh ja, natürlich. Und wir dürfen sicher sein, was man in hundert Jahren als „Avantgarde“ des Jahres 2014 erkennen wird, das übersehen wir gerade oder wissen gar nichts davon.

emma

Aktuelles Hinweis: Der Platz-1-Spiegel-Bestseller ist jetzt erstmals als Taschenbuch erschienen - im S.Fischer-Verlag. +++ Die Festival-Veranstaltung am 9. September ist inzwischen ausverkauft. Eine Online-Warteliste wurde eingerichtet.