Festivalarchiv 2006 bis 2018

Ein schwarzes Schaf wird weiß. NACHBERICHT zu Giulia Enders am 21. Mai in Bitburg

22.05.2016

Giulia Enders in BitburgGiulia Enders betreibt beim Eifel-Literatur-Festival Imagepflege in Sachen Darm

Mal nicht um Poesie, sondern um die ganz realen Vorgänge auf der Po-Ebene des Körpers ist es bei der siebten Lesung des Eifel-Literatur-Festivals in Bitburg gegangen. Die erst 26jährige angehende Medizinerin Giulia Enders stellte ihren Sachbuch-Weltbestseller „Darm mit Charme“ vor. Über 800 Besucher erlebten einen so spannenden wie aufschlussreichen und vergnüglichen Abend.

Bitburg. Wenn über 800 Menschen die Fernsehübertragung des DFB-Pokalfinalspiels ignorieren und lieber weit fahren, um aus einem Buch vorgelesen zu bekommen, muss es sich um ein besonderes Buch handeln. Es heißt „Darm mit Charme“ und ist tatsächlich in mehrerer Hinsicht ungewöhnlich. Es nimmt sich eines Organs an, das wie kein anderes über Scham, Ekel oder mangelnde Wertschätzung mit Negativ-Image behaftet ist. Es hat ausgerechnet mit diesem Tabuthema weltweit den Buchmarkt erobert, war 2014 und 2015 Jahres-Sachbuch-Bestseller Nummer 1 und steuert gerade auf die Verkaufszahl von zwei Millionen Exemplaren zu.

Verblüffend auch, dass seine Autorin kein ausgebuffter Profi, sondern eine blutjunge Medizinstudentin ist. Wie das nette Mädchen von nebenan wirkt Giulia Enders, als sie die Bühne in der Stadthalle Bitburg betritt. Und schon nach wenigen Sekunden - als sie die Gäste mit schelmischem Lächeln und einfachem „Hallo“ begrüßt hat - ist klar, dass heute noch ein anderer Charme als der des Darms im Mittelpunkt steht.

Es ist der von unbefangener Aufgeschlossenheit, Neugier und Leidenschaft für eine Sache, die die zierliche Person mit erstaunlichem Charisma verströmt. Genau der spricht auch aus den Textpassagen, die sie vorliest. Da geht es zunächst darum, wie viel lustiger die Welt aussähe, wenn wir auch das sehen könnten, was dem Auge gewöhnlich verborgen ist, unsere Organe. Lebendig und mit viel Sprachwitz führt Enders den Darm als ein „Meisterwerk“ ein, um sich anschließend seiner besonderen Architektur zu widmen. In anschaulich bildlichen Vergleichen erläutert sie dann die Funktionsweise der beiden Schließmuskeln am Enddarm. Als I-Tüpfelchen blendet sie über Beamer comicartige Illustrationen ein, mit der ihre Schwester Jill - eine Kommunikationsdesignerin - die komplexen Zusammenhänge witzig auf den Punkt bringt. So pustet sie mit Lockerheit und Leichtigkeit jede unangebrachte Scham weg und vermittelt ungeahnte Einblicke. „Wissen ändert die Perspektive“, sagt sie, das sei ihr eigener Erkenntnisgewinn aus der Arbeit am Buch.

Sie habe erst nichts vom inneren Schließmuskel gewusst, nun kenne und hege sie große Sympathie für ihn: „Endlich mal einer, der nur an mich denkt“. Sie liefert weitere Lesepassagen über die anatomisch richtige Haltung beim Stuhlgang, Reinigungsvorgänge im Dünndarm und die Beziehung zwischen Darm und Hirn. Dabei erfahren die Zuhörer, dass schlechte mentale Verfassung durchaus in Nahrungs-Unverträglichkeiten Fehlfunktionen des Darms oder gar chronischer Darmerkrankung wurzeln kann.

Enders Lesung endet mit ihrem Lieblings- und Forschungsthema Darmbakterien. Hier prangert sie einen übertriebenen Hygienewahn an, der die völlige Vernichtung aller Bakterien, auch der lebensnotwendigen guten, zum Ziel hat: „Desinfektion hat in einem normalen Haushalt nichts zu suchen“, sagt sie und verweist auf die erhöhte Anfälligkeit für Allergien in unserer Kultur. Für sich selbst habe sie aus der Auseinandersetzung mit Sauberkeit eine neue Einstellung zur Lebenshygiene mitgenommen, erläutert Giulia Enders: „Das Leben verläuft viel leichter, wenn ich nicht versuche, Schlechtes um jeden Preis zu vermeiden, sondern die viele dafür benötigte Energie woanders einsetze.“ 

Beeindruckend reife und klare Aussagen wie diese lassen sich in anschließenden Interviews mit Dr. Josef Zierden und den Zuschauern noch ein wenig länger genießen. Da bekennt Enders zum Beispiel, dass ihr der Erfolg des Buches den kostbaren Luxus der Freiheit gegeben hat: „Ich kann nun Dinge machen, die ich sinnvoll finde, brauche mich nicht ausbeuten oder schlecht unterrichten zu lassen“. Sie erklärt auch, dass sie aus Fachkreisen ein durchweg positives Echo auf ihr Buch bekommen habe, weil sie sich nichts über ihren Erfahrungshorizont Hinausgehendes angemaßt habe. Und auf die Frage einer Zuschauerin, ob es nur Menschen mit Talent zu Naturwissenschaften vorbehalten sei, das Medizinstudium zu absolvieren sagt sie: „Keiner ist untalentiert, es ist nur eine Frage der Vermittlung, die Schule vermiest da vieles. Naturwissenschaften sind wichtig, die Systeme, wie unserer Welt funktioniert. Und wenn man da mit Leichtigkeit drangeht, sich nicht einschüchtern lässt, von dem, was kompliziert aussieht, dann bringt das Entdecken Freude“.  

Genau das hat Giulia Enders an diesem Abend vermittelt, die Freude neue Sichtweisen zu entdecken, der „Neugierspur“ (Enders) zu folgen und damit um verstehendes Wissen reicher zu werden. 

(Anke Emmerling)

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