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Die Hardliner scheuen den Frieden - Frank Schätzing Interview

07.09.2014

Ein Interview mit Frank Schätzing zu seinem aktuellen Thriller „Breaking News“ und dem Nahost Konflikt

Zum Finale des Eifel-Literatur-Festivals kommt Thriller-Bestsellerautor Frank Schätzing am Freitag, 24. Oktober, ins Eventum Wittlich. Er wird dort aus seinem jüngsten Roman „Breaking News“ lesen, der auf Anhieb Platz eins der Bestsellerlisten erobert hat und inhaltlich brandaktuell ist. Die Handlung spielt im gegenwärtigen Krisenherd Nahost. Über sein Buch und Hintergründe hat sich Frank Schätzing im Interview geäußert.

Ihr aktueller Roman Breaking News erzählt die Geschichte Israels und eines seiner umstrittensten Politiker, Ariel Scharon, zwischen Fakten und Fiktion. War es für Sie ein Spagat, Ernsthaftigkeit und Unterhaltung zu verbinden? Und mit welcher Herangehensweise haben sie ihn gemeistert?

Das war kein Spagat. Gute Unterhaltung ist immer auch ernsthaft. Und zur Vermittlung ernsthafter Themen eignet sich Unterhaltung oft besser als reine Faktenschlachten. Ich habe einfach wie ein Wilder recherchiert und beherzt drauflos geschrieben. Meine übliche Vorgehensweise also.

Wie hat man in Israel auf Ihre Recherchen und Fragen reagiert?

Positiv. Ich habe meine Grundidee geschildert, sie waren durch die Bank begeistert. Endlich, sagten sie, nähert sich uns mal einer nicht mit der Miene bleischwerer Betroffenheit, sondern einer coolen Story. Manche wunderten sich, dass sich ein Deutscher so sehr für ihr Land interessiert – was mich wieder wunderte. Wichtig war mir klarzustellen, dass Breaking News kein Vehikel für Israelkritik sein wird – und auch nicht für Palästinenserschelte –, sondern ein rasanter Thriller, der versucht, historisch zu entwirren, was heute geschieht. Am Ende haben alle mit mir gesprochen, und ich habe ein paar neue Freunde gewonnen. Vom Rabbi bis zum linken Filmemacher. Und auch ein paar palästinensische.

Was macht Ariel Sharon für Sie so interessant als Romanfigur?

Ich mag kontroverse Charaktere, bei denen die Grenzen zwischen gut und böse verschwimmen. Scharon war ein Hardliner, der die Probleme der Region maßgeblich beförderte, doch am Ende wurde er zum Hoffnungsträger. Zweifellos eine der prägenden Figuren im Nahen Osten. Einer, der vor Kraft strotzte, unberechenbar die Seiten wechselte, schließlich einen mutigen Schritt tat. In seiner Tragik hat er was von Darth Vader. Sehr reizvoll für einen Romancier, außerdem stellte ich fest, dass man anhand seiner Lebensgeschichte auf großartige Weise die Geschichte Israels erzählen kann. Na, und letztlich kreist ja die ganze Grundidee des Buches um ihn, damit hat alles begonnen. Bei einem Frühstück mit Freunden, mit einer Diskussion über den Nahostkonflikt. Da kam mir erstmals der Gedanke, Scharon könne Opfer eines Anschlags geworden sein.

Zum Ende Ihres Romans hin gewinnt man fast den Eindruck, dass Ihnen Sharon sympathisch geworden ist, dass Sie ihn verstehen. Ist das so?

Unbestreitbar. Jemanden zu verstehen heißt ja nicht, sein Handeln durchweg gutzuheißen. Es bedeutet, sein Handeln nachvollziehen zu können. Wir sollten uns ohnehin mehr bemühen, Mächtige und nach Macht Strebende zu verstehen, in ihren Kopf zu kriechen, um frühzeitig beurteilen zu können, in welche Richtung sie sich entwickeln werden. Dafür müssen wir sie als Menschen sehen. So wie ich Scharon als Mensch gesehen habe, der üble Fehler gemacht hat, über Grenzen ging, jedoch angetrieben von einem glühenden Engagement für sein Land und sein Volk. Wenn man sich so intensiv mit jemandem beschäftigt, wie ich mich mit Scharon beschäftigt habe, dann hat man die ganze Person vor Augen. Es war mitunter schwer für mich, ihn zu mögen – aber auch schwer, ihn nicht zu mögen.

Mit seiner Geschichte haben Sie die der Familie Kahn verwoben. An ihr machen Sie deutlich, wie sich politische Entscheidungen auf persönliche Schicksale auswirken und oft als willkürlich empfunden werden - heute Besiedlung, morgen Abzug, heute Freundschaft mit palästinensischen Nachbarn, morgen Krieg gegen ihre Dörfer. Haben Sie bei Ihren Recherchen dazu eigentlich irgendeine innere Logik der Entwicklung in Nahost erkannt und ein Verständnis dafür entwickeln können?

Es gibt eine Logik des Absurden. Das beginnt während der Zeit des britischen Mandats in Palästina ab 1917. Die Briten haben damals den arabischen Herrschern die Unabhängigkeit versprochen, ihr eigenes Königreich, und zugleich den Juden ihre ersehnte nationale Heimstätte – dummerweise beides auf palästinensischem Boden, auf dem gleichen Stück Land. Eine Unmöglichkeit! Je mehr Menschen ins Land strömten, desto mehr gerieten die dortigen Nationalbewegungen folgerichtig aneinander. Bis dahin war das Zusammenleben von Juden und Arabern in Palästina unter osmanischer Herrschaft vergleichsweise harmonisch gewesen. Der UN-Teilungsplan, der das Problem lösen sollte, wurde 1947 von den Juden akzeptiert, von den Arabern allerdings kategorisch abgelehnt. Statt ihren eigenen Staat auszurufen – zwei Nationen Seite an Seite –, zielte die arabische Strategie von Anfang an darauf ab, Israel von der Landkarte zu tilgen. Aber vielleicht hätte man sich irgendwann einigen können, hätte Israel im Sechstagekrieg 1967 nicht diesen fulminanten Sieg errungen. Der ging einher mit der Besetzung von Gebieten, die das Land geografisch zum biblischen Israel komplettierten – was eine nationalreligiöse Rechte etablierte, die seitdem jeden Kompromiss mit den Palästinensern sabotiert und notfalls mit Waffengewalt bekämpft. Eine Minorität, die allerdings stetig an Macht gewinnt. Die Logik heute ist, dass die radikalen Minderheiten beider Seiten die friedliebende, kompromissfähige Mehrheit der Israelis und Palästinenser in Geiselhaft nehmen.

Aktuell eskaliert der Konflikt, ausgelöst vom Mord an drei israelischen und einem palästinensischen Jugendlichen (Anmerkung: Das Interview wurde am Anfang der kriegerischen Auseinandersetzungen geführt). Die Israelis beschießen den Gazastreifen, Hamas feuert auf Tel Aviv, viele Menschen sterben. Welche Ziele verfolgen Hamas und Netanjahu, den Sie in ihrem Buch ja als Hardliner beschreiben?

Hamas braucht, wie gesagt, die Radikalisierung, um zu überleben. Das Problem ist aber auch, sie kann den Kampf jetzt gar nicht mehr einstellen. Dann wäre der Blutzoll umsonst entrichtet worden, ohne dass eine einzige ihrer Forderungen erfüllt wurde. Dann wäre sie vollends erledigt. Und Israel kann seine Offensive ebenso wenig beenden, ohne die Hamas bezwungen zu haben, weil man den Islamisten ringsum, von Al Kaida bis ISIS, nicht das Gefühl vermitteln will, machtlos gegen Terror zu sein. Netanjahus politisches Schicksal hängt zudem an der ideologischen Siedlerbewegung. Also vermeidet er tunlichst alles, was in einer Abtretung besetzter Gebiete gipfeln würde, und genau darum geht es letztlich in Friedensverhandlungen. Unterm Strich scheuen die Hardliner beider Seiten den Frieden, weil sie seine Konsequenzen fürchten. Lieber richten sie sich im Konflikt häuslich ein.

Sehen Sie die Notwendigkeit und auch Möglichkeit von außerhalb zu vermitteln? Wenn ja, wer sollte sich dabei besonders engagieren, Amerika oder auch Deutschland mit seiner besonderen historischen Verantwortung?

Mein Eindruck ist, dass Israelis wie Palästinenser ein deutsches Engagement fast noch mehr begrüßen würden als ein amerikanisches, das sie ja ohnehin einfordern. Amerika ist der alte Partner, dem man in Hassliebe verbunden ist, viele Juden leben in den USA. Zugleich ist das Verhältnis zwischen Netanjahu und Obama auf dem Tiefpunkt, und Camp David steht historisch eher für Pleiten, Pech und Pannen. Mein Eindruck ist, gerade zu Deutschland hat man ein gewisses Vertrauen entwickelt. Joschka Fischer genoss hohes Ansehen, auch Steinmeier schätzt man. Unverändert ist internationaler Druck von großer Bedeutung, nur: Wie immer ein Frieden der Politiker aussehen mag, er muss zugleich ein Frieden der Völker werden. Sonst nützt er nicht das Geringste.

Wenn man Ihr Buch gelesen hat, ertappt man sich dabei, jetzt genauer auf die Meldungen aus Nahost in den Nachrichten zu hören. War es Ihr Ziel, Empathie zu wecken, dazu anzuregen, aus der Abstumpfung zu erwachen?

Hm. Ich tue mich schwer damit, die Frage zu bejahen, weil ich Typen, die Romane schreiben, um Lesern Botschaften unterzujubeln, eigentlich hasse. Ich bin kein Weltverbesserer. Ich will niemanden hinter mich scharen. Mir geht es um Unterhaltung. Der Schakal, James Bond, Bourne Identity, das alles sind Stoffe, die vor einem brisanten Hintergrund spielen, ohne sich deswegen aufklärerisch zu geben. Beim Schreiben entwickelte ich dann allerdings zunehmend Empathie für die Menschen im Nahen Osten. In gleichem Maße wurde mir bewusst, wie wenig wir über die Hintergründe wissen. Je mehr uns die Abendnachrichten auf dem Laufenden halten, desto absurder erscheint uns der Konflikt. Als Folge stumpfen wir tatsächlich ab – der Zoom auf den ewig gleichen Blutfleck, die stereotypen Bilder von Leid und Verwüstung, die kalten Opferstatistiken. Wir sehen hin, ohne zu verstehen, und das ist fatal. Auf nichts sind die Menschen in den Krisenregionen so sehr angewiesen wie auf unsere Empathie. Also habe ich wohl doch eine Botschaft.

Termin: Freitag, 24. Oktober 2014, Eventum Wittlich, 20:00 Uhr (Einlass ab 19 Uhr)
Tickets zu €22,70 bis €31,90 (vier Preiskategorien, je inkl. MwSt. und VVK-Gebühr) sind erhältlich im Vorverkauf unter www.ticket-regional.de, Telefon: 06 51 / 97 90 777 oder Fax: 06 51 / 97 90 720, sowie unter www.eifel-literatur-festival.de. Dort gibt es auch weitere Informationen und noch mehr Stellungnahmen von Frank Schätzing. emma