Festivalarchiv 2006 bis 2018

Das schwere Erbe der Vorfahren - NACHBERICHT Anne Weber am 24. Mai 2016 in Bitburg

25.05.2016

Anne Weber in BitburgAnne Weber liest in Bitburg aus ihrem Zeitreisetagebuch „Ahnen“

Ein literarisches Kammerspiel um die Frage des Umgangs mit der Last deutscher Vergangenheit hat die seit 32 Jahren in Paris lebende Schriftstellerin Anne Weber beim Eifel-Literatur-Festival in Bitburg gegeben. Vor 270 Besuchern las sie aus ihrem neunten Werk „Ahnen – Ein Zeitreisetagebuch“.

Bitburg. Anne Weber gehört nicht zu den Schriftstellerinnen, deren Erfolg sich durch die Quantität von Bestsellern in Millionenauflagen bemisst. Vielmehr zeichnet sie besondere Qualität aus, für die sie bereits zahlreiche Literaturpreise erhalten hat. Im Bitburger Haus Beda vermittelt sie eindrücklich, worin diese besondere Qualität liegt. Schon als sie die Bühne betritt ist klar, dass äußerliches Aufhebens um ihre Person nicht ihr Ding ist. Eher introvertiert und nachdenklich wirkt sie, wie eine Frau, die von Gedanken und Reflexionen absorbiert wird.

Die 1964 in Offenbach geborene Autorin lebt in der Welt der Literatur. Seit 32 Jahren wohnt sie in Paris, übersetzt Werke verschiedener Schriftsteller und verfasst eigene Romane. Dabei pflegt sie das Unkonventionelle in Inhalt und literarischer Form. So auch in ihrem neunten Buch, das sie nach Bitburg mitgebracht hat. Es heißt „Ahnen“ und trägt die Bezeichnung „Zeitreisetagebuch“. Die sei ihr wichtig, obwohl ihr Verlag darauf hingewiesen habe, dass das Wort „Roman“ wesentlich verkaufsfördernder sei, erklärt Weber. Denn „Zeitreisetagebuch“ benenne präzise das eigens für den Inhalt des Buches erfundene Genre. „Es geht in Ahnen darum, wie die Vergangenheit in die Gegenwart hineinreicht“, sagt sie.

Ausgangspunkt für das Buch ist die Recherche nach Anne Webers genau 100 Jahre vor ihr geborenen Urgroßvater Florens Christian Rang. Er war Jurist, Schriftsteller, Philosoph und evangelischer Pfarrer in zwei Dörfern bei Posen. Zu seinen Bekannten zählten jüdische Intellektuelle wie Walter Benjamin, Martin Buber oder Hugo von Hofmannsthal. Doch Weber erzählt sein Leben nicht chronologisch nach. Stattdessen unternimmt sie assoziative Sprünge, in denen sich bald auch Familien- und Zeitgeschichte der Generationen zwischen Urgroßvater und Urenkelin verweben.

Die Annäherung an die Vorfahren gleicht tatsächlich einer Reise, sie findet über Reflexionen im Kopf der Autorin statt. Doch sie führt nicht zum Ziel einer Abbildung von Vergangenheit, wie sie einmal gewesen ist oder sein könnte. Vielmehr mündet sie in eine Auseinandersetzung mit dem Erbe dieser Vergangenheit, die für die Autorin zu einem Wechselbad der Gefühle wurde. Denn Weber hat bei ihren Recherchen Verstörendes zutage gefördert. In einem Schriftstück berichtet ihr Urgroßvater vom Besuch in einer „Irrenanstalt“. Er - damals gläubiger Christ und Pfarrer - habe den Arzt gefragt, warum man die Menschen dort nicht einfach vergifte. Ein vorweggenommener Euthanasie-Gedanke? Diese Frage drängte sich auch der Autorin auf, als sie sich der Erkenntnis stellen musste, dass der Sohn Florens Christian Rangs, ihr Großvater, überzeugter Nazi war. Dessen Sohn wiederum, ihr Vater, hatte, wie im Nachkriegsdeutschland üblich, den Mantel des Schweigens über alles Geschehene gelegt. Dass sich Anne Weber heute damit auseinandersetzt, begründet sie mit ihrem Leben in Frankreich: „Besonders dort wird man immer wieder auf sein Deutschsein zurückgeworfen“.

Wenn ihr auch keine offenen Anfeindungen begegneten, so doch Klischees, die sich immer aus der Nazivergangenheit Deutschlands speisten. Aus dieser Vergangenheit verspüre sie keine persönliche Schuld, aber eine große Last, die ihr auf den Schultern liege, bekennt sie. Einen fiktionalen, illusionsschaffenden historischen Roman aus dieser Vergangenheit zu machen, habe sich ihr aus moralischen Erwägungen verboten. Wie schon in den teils essayistisch angelegten Lesepassagen, äußert sich auch in den persönlichen Äußerungen der Autorin ihre ganz besondere Sensibilität.

In Erinnerung bleiben wird sie aber auch mit einem immer wieder durchblitzenden Humor: Auf die Frage, ob sie sich nicht doch einmal eine 6 Millionen-Auflage eines Buches wünschte, sagt sie: „Lieber nicht, dann gäbe es 6  Millionen zornige Leute, die sich ärgern, ein Buch gekauft zu haben, das nicht ihren Erwartungen entspricht“.

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