Festivalarchiv 2006 bis 2018

„F“ wie Familie, Fatum und Fiktion

07.06.2014

Daniel KehlmannDaniel Kehlmann liest vor rund 1100 Besuchern des Eifel-Literatur-Festivals aus seinem Roman „F“

Zum Halbzeitfinale des Eifel-Literatur-Festivals vor der Sommerpause hat Daniel Kehlmann im Eventum Wittlich rund 1100 Besucher mit einer Lesung aus seinem sechsten Roman „F“ beeindruckt. Der Autor des Weltbestsellers „Die Vermessung der Welt“ gewährte zudem Einblicke in seine Arbeitsweise und Gedankenwelt, all das mit einer großen Portion Humor.

Wittlich. Er hat mit einer weltweit sechs millionenfachen Auflage seines Romans „Die Vermessung der Welt“ einen beispiellosen Erfolg gelandet. Er hat auch ein Buch geschrieben, das den Titel „Ruhm“ trägt, doch sein Ruhm scheint Daniel Kehlmann nicht zu Kopf gestiegen zu sein. In Wittlich nimmt der jungenhaft wirkende Autor nicht nur die auffallend vielen jungen Menschen im Publikum mit einem ganz natürlichen und sympathischen Auftreten ein. Er kommt in Turnschuhen und salopper Kleidung auf die Bühne, beginnt schnörkellos mit seiner Lesung, für die er mit einer längeren Schlüsselszene und einem kürzeren humorvollen Häppchen zwei äußerst ansprechende Passagen aus seinem neuesten Roman „F“ ausgewählt hat. Der Titel „F“ steht vor allem für Familie, aber auch für Fälschung.

Das Buch erzählt die Geschichte dreier Brüder, deren Existenzen im Grunde auf der Vorspiegelung falscher Tatsachen beruhen. Martin ist katholischer Priester, der nicht an Gott glaubt, Eric Anlageberater, der seine Kunden betrügt und Iwan Maler, der im Namen eines anderen Künstlers malt. „F“ steht auch für Fatum, Schicksal, denn an einem heißen Augusttag im Finanzkrisenjahr 2008 werden die Drei in Ereignisse verwickelt, die die Frage aufwerfen, was den Verlauf eines Lebens lenkt, Vorherbestimmung oder Zufälle. „F“ steht schließlich auch noch für Fiktion, für unerklärliche Phänomene und dämonische Kräfte, die buchstäblich durch die Geschichte der Brüder geistern. Alle diese „F’s“ sind bereits im ersten Kapitel des Romans angelegt, aus dem Kehlmann zu Beginn eine ausführliche Passage liest. Sie schildert eine Hypnosevorstellung, die die drei Brüder als Kinder mit ihrem Vater Arthur besuchen. Hier waltet schon so etwas wie eine dämonische Kraft, die zu einer Weichen stellenden Lebensentscheidung führt: Arthur verlässt seine Söhne, um fortan der Schriftstellerei zu frönen. Als zweiten Leseabschnitt fügt Kehlmann eine Episode über den mittlerweile erwachsenen Martin an. Höchst amüsant erzählt er da, wie der Priester einem Steuerberater und einem Trinker die Beichte abnimmt und dabei zeitgleich mit seiner Gier nach Süßigkeiten und seinem Verlangen, weiter mit dem Rubik-Würfel zu spielen, kämpft.

Daniel KehlmannKehlmann liest so lebendig, dass man als Zuhörer ins Geschehen gezogen wird. In seinem Vortrag kommt auch der ironische Humor fein zum Tragen, so dass das Publikum viel zu lachen hat. Nicht minder unterhaltsam gestaltet sich das anschließende Interwiew mit Festival-Leiter Dr. Josef Zierden, bei dem der Autor interessante Einblicke in seine Arbeit gibt. Hier beantwortet er die Frage, die vielen Fans von „Die Vermessung der Welt“ auf den Nägeln brennt, warum er mit den Nachfolgeromanen wie „Ruhm“ oder „F“ ganz andere Wege eingeschlagen hat: „Der Erfolg von `Die Vermessung´ hat mir die Freiheit gegeben, etwas auszuprobieren“, sagt Kehlmann, „nicht nur ökonomisch gesehen“. Die Menschen interessierten sich nun dafür, was er schreibe, und da wolle er sich nicht wiederholen, sondern experimentieren. „Ich muss aber etwas finden, das mich wirklich interessiert und beschäftigt.“  Zur Beschäftigung mit dem Typus des Hochstaplers, die für „F“ den Ausschlag gab, sei es in einem Reisebus in Mexiko gekommen. Dort habe ihn ein offensichtlich gebildeter feiner Herr in ein Gespräch über mexikanische Literatur verwickelt und später erzählt, er sei ausgeraubt worden und brauche Geld. Kehlmann habe es ihm gegeben, doch hinterher durchs Internet erfahren, dass der Mann ein bekannter Betrüger sei. „Aber er hat diese Kompetenz gehabt, hat überzeugend vorgespiegelt, er kenne sich aus – das ist die Kunst des Hochstaplers.“

In diesem Sinne seien auch die Brüder in seinem Roman als Hochstapler zu verstehen. In der Figur des Hypnotiseurs, „der zu mir kam, wie eine Figur aus der deutschen Schauerromantik von E.T.A. Hoffmann“, manifestiere sich seine Faszination für Geister aller Art. Er sei ein rationaler Mensch, betont Kehlmann, aber gleichzeitig beschäftige ihn d asIrrationale: „Man sollte nicht an Gespenster glauben, trotzdem habe ich Angst, dass es sie gibt“. In der Komposition der Lebensstränge seiner Romanhelden habe ihn sehr die Frage bewegt, ob das Leben bloß Chaos sei, oder ob es auch Handlungs-Linien wie in einer Erzählung gebe. Anders als Literaturkritiker ihm unterstellten, habe er die Handlung seines Romans nicht zusammengewürfelt und das im Buch in die Metapher des Rubik-Würfels von Martin gekleidet. Die Würfelszenen habe er erst zum Schluss eingebaut, um der farblosen, etwas depressiven Figur Martin noch eine Leidenschaft zu verpassen. „Gefallen hat mir aber, dass der Rubik-Würfel so ein schön angestaubtes Hobby ist“. Ob Kehlmann etwas mit dem Vater seiner Romanbrüder gemein habe, der alles bedingungslos für seine Schriftstellerei aufgegeben habe? „Nein, so bin ich sicher nicht“, sagt der Autor, „wenn sich die Kunst hinterher als mittelmäßig herausstellt, ist das Leben verschenkt.“ In seinem Leben spiele momentan  sein fünfjährige Sohn eine Hauptrolle, der zuweilen frage: „Musst du wieder den Leuten aus dem blöden Buch vorlesen?“ Er habe deshalb seine Termine reduziert und versuche, nie länger als fünf Tage von zuhause weg zu sein, erklärt der Autor. Damit rundet er den sympathischen Eindruck, den er schon anfangs gemacht hat, ab.

Mit viel Applaus und ungeheurem Andrang am Signiertisch bedanken sich die Besucher. emma

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