Einführungsrede zu Zsuzsa Bánk in Wittlich
Sehr geehrte Damen und Herren,
„schlafen können wir später“: Man ist als Leser gerade mal auf der dritten Seite des jüngsten Romans von Zsuzsa Bank angelangt, auf der dritten von 683 Seiten - da fällt bereits der Titel. Da hat, am 27. und am 28. März des Jahres 2009, der Mailverkehr zwischen den Freundinnen Marta und Johanna gerade erst begonnen.
Auf Seite 3 des Romans „Schlafen können wir später“ - da wissen wir bereits, dass Ehemann Simon seine Marta am liebsten schon verlassen hätte - wäre er nur 10 Jahre jünger und hätte er nur drei Kinder weniger.
Da kennen wir die Kinder von Simon und Marta bereits mit Namen: Mia, Franz und Henri. Und wir wissen, dass sie in einer Großstadt wohnt und Schriftstellerin ist. Während Martas Mailpartnerin Johanna als Lehrerin im Schwarzwald lebt, über die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff wissenschaftlich forscht, über Moorknaben und Heidenhirten als Teil der Natur.
Und dass das fortgeschrittene Alter, die Midlife-Crisis, die erreichte Hälfte des angebrochenen Lebens, beiden Freundinnen zu schaffen macht. Die Frage: Was fangen wir noch an mit diesem Leben, jetzt, nachdem wir die halbe Strecke schon gegangen sind? Simons Idee, „einfach alles hinzuwerfen“, ist zumindestens der Schwarzwaldlehrerin Johanna nicht fremd.
680 Romanseiten und gut dreieinhalb Jahre in der erzählten Zeit weiter wissen wir mehr: Dass hier auf 700 Romanseiten zwei gegensätzliche Lebensräume und Lebensentwürfe aufeinanderprallen:
Großstadt hier, Frankfurt am Main, Erdgeschosswohnung - Leben auf dem Lande dort, in einem kleinen Häuschen im Schwarzwald.
Finanziell prekäre Existenzform als Schriftstellerin, Künstlerin hier, Lyrikerin, angehende Erzählerin - abgesichertes Beamtendasein als Gymnasiallehrerin u.a. für Deutsch dort.
Eheleben mit drei Kindern hier mit mühseliger Sicherung von Freiräumen für das Schreiben - Partnerlosigkeit, Kinderlosigkeit und große Anteile selbstbestimmten Lebens dort.
Auch wenn jeweils die eine Freundin hat, was die andere begehrt: Missgunst gibt es nicht zwischen den beiden Frauen, die Freundinnen sind seit Kindertagen. Die ihre weibliche Befindlichkeit in der Mitte des Lebens ganz offen austauschen..
Die beide die Frage umkreisen: wie meistert man das Leben mit Mitte 40 zwischen Selbstbehauptung, Freiheit und Glück?
Die beide erschöpft sind von ihrer Tagesarbeit, wenn sie zu nächtlichen Uhrzeiten einander poetische Emails zusenden. Poetisch nicht zuletzt wegen der empfindsamen Sprache und wegen des permanenten Austauschs über Literatur, über Literaturproduktion und Literaturanalyse: von einer Schriftstellerin, die sprachlich um eigene Gedichte und Erzählungen ringt; von einer Deutschlehrerin, die nebenher an einer Dissertation über die große Schriftstellerin Annette von Droste-Hülshoff arbeitet.
Der Briefroman, hier als ausgiebige E-Mail-Korrespondenz weit über Kurznachrichten hinaus, hat eine lange Tradition in Deutschland. In der monologischen Form, ohne zitierte Antwortschreiben, bei Goethes „Die Leiden des jungen Werthers“ 1774.
In der multiperspektivischen Form etwa bei Sophie von Laroches „Geschichte des Fräuleins von Sternheim“ 1774, Vorbild für viele schreibende Frauen.
Mindestens 800 Briefromane zählt die Weltliteratur.
Auch wenn der Roman „Schlafen werden wir später“ rund 700 Seiten umfasst - eine Vielschreiberin ist Zsuzsa Bank nicht. Der Roman „Schlafen können wir später“ ist gerade mal ihr viertes Buch, seit ihrem aufsehenerregenden Debütroman „Der Schwimmer“ des Jahres 2002. Seit seinem Erscheinen im Februar 2017 stand er 26 Wochen lang auf der Hardcover-Bestsellerliste des „Spiegel“. Seit April 2018 hält die Taschenbuchausgabe die Leser in Atem mit der Frage: Was ist gewesen im Leben - und was wird noch kommen?
Die Schriftstellerin Zsuzsa Bank, 1965 geboren, wuchs als Kind ungarischer Flüchtlinge in Frankfurt auf.
Seit dem Jahr 2000, nach einer Buchhandelslehre und einem Studium der Publizistik, Politikwissenscahft in Mainz und in Washington, lebt sie als freie Autorin und Journalistin in Frankfurt am Main.
Als Schriftstellerin bekannt wurde sie 2002 mit ihrem Roman „Der Schwimmer“. Über 150.000 Exemplare ihres Debüts wurden laut S. Fischer-Verlag verkauft. Sie gewann in Folge eine Reihe von Literaturpreisen, darunter den „Aspekte“-Literaturpreis des ZDF sowie den Deutschen Bücherpreis.
Die Zeit zwischen dem Ungarnaufstand 1956 und der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 bildet den zeithistorischen Hintergrund des Romans. Da geht es um den wortlosen Weggang einer ungarischen Mutter in den Westen und um die Folgen für eine allmählich auseinander fallende Familie im Ungarn der Fünfzigerjahre.
2005 folgte der Erzählband „Heißester Sommer“ - mit zwölf Erzählungen. Wiederum mit den Motiven Abschied, Trennung, Tod und Trauer.
Im Roman „Die hellen Tage“, 2011 erschienen, erzählt Zsuzsa Bank die Geschichte dreier Familie und begleitet ihre jungen Helden durch ein halbes Leben. Das Mädchen Seri erlebt in einer süddeutschen Kleinstadt helle Tage der Kindheit. Tage, die sie im Garten ihrer Freundin Aja verbringt, die aus einer ungarischen Artistenfamilie stammt und mit ihrer Mutter in einer Baracke am Stadtrand wohnt. Die scheinbar heile Welt der Kindheit in den 1960er Jahren - sie hat und bekommt Risse.
Um Fremdheit und Ausgrenzung, um Akzeptanz und Anpassung geht es in „Die hellen Tage“. 85 Wochen, fast anderthalb Jahre lang, stand alleine die Taschenbuchausgabe auf der Bestsellerliste, eingestiegen auf Rang 1 im Juli 2012.
Zwei Romane, ein Erzählband - und seit Februar 2017 nun endlich der dritte Roman: „Schlafen können wir später“.
Über dunkle und helle Tage im Leben. Über Frauen, die kämpfen. Und Männer, die gehen. Und über den sanften Würgegriff des Alltags.
Herzlich willkommen beim 13. Eifel-Literatur-Festival 2018,
herzlich willkommen im Atrium des Cusanus-Gymnasiums zu Wittlich:
eine der bedeutendsten Autorinnen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur - Zsuzsa Bank!