Festivalarchiv 2006 bis 2018

Einführungsrede zu Raoul Schrott am 14. September 2018 in Bitburg

Von Dr. Josef Zierden

Dr. Josef ZierdenMeine sehr geehrten Damen und Herren,

der österreichische Autor Raoul Schrott gilt als einer der produktivsten und vielseitigsten Autoren der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur.

Was es nicht eben einfach macht, Leben und Werk auf wenige Grundlinien zu bringen.

Schon der Lebenslauf des Autors beginnt in einigen Literaturlexika zuweilen abenteuerlich. Geboren am 17.1. 1964 in Landeck/ Tirol heißt es in der knappsten Lexikon-Version. Während andere Literaturlexika wiederum verbreiten, Raoul Schrott sei geboren auf einer Schiffspassage zwischen Südamerika und Europa, unweit von Sao Paulo, Brasilien. Seine Kindheit habe er in Maghreb (Tunesien) verbracht und seine Jugend in Zürich und Tirol. Mindestens drei unterschiedliche Geburtsgeschichten habe Schrott in Umlauf gebracht und später als Fiktionen enttarnt, heißt es dazu im „Killy“. Die Schiffsgeburt auf dem Weg nach Brasilien sei davon die spektakulärste. Ein Maskenspiel eines Autors sei das, der für eine strikte Trennung von Biografie und Werk eintrete.

Halten wir uns noch kurz an die biografischen Fakten: Studium der Germanistik, Anglistik und Amerikanistik in Innsbruck, Norwich und Paris, 1988 Promotion in Innsbruck über den Dadaismus und 1996 Habilitation dort mit der Arbeit über „Poetische Strukturen von der griechischen Antike bis zum Dadaismus“.

Einen „gelehrten Dichter (poeta doctus)“ hat man ihn schon früh genannt. Einen Dichter also, der sich mit den Problemen künstlerischen Schaffens auch wissenschaftlich und hochreflektiert befasst hat und dessen Werk von weitreichenden Kenntnissen in den verschiedensten Wissenszweigen zeugt - von den antiken Sprachen bis hin zur Quantenphysik.

In den fortschrittlichsten poetischsten Kunstströmungen des 20. Jahrhunderts ist er zuhause - bei der radikalen, avantgardistischen Kunst- und Literaturrichtung des Dadaismus ist er geradezu eine wissenschaftliche Autorität.

Und in seiner berühmten wie erfolgreichen Anthologie „Die Erfindung der Poesie. Gedichte aus den ersten viertausend Jahren“ schlägt Schrott mal eben eine Brücke zu den Ursprüngen der europäischen Dichtung, bis ins Zweistromland, bis zu den Arabern, den Kelten und den Sizilianern. Beginnend mit den Keilschriften der Sumerer im 24. Jahrhundert v. Chr. bis hin zur walisischen Poesie des 14. Jahrhunderts. Jeweils kenntnisreich eingeleitet und kommentiert - was von einem immensen Wissen zeugt und einem überragenden Übersetzertalent, ist es doch das Ziel, tausendjährige Gedichte frisch wie am ersten Tag zu präsentieren, ohne jeden Staub. Es ist eine abenteuerliche Entdeckungsreise durch die entlegensten Poesie-Landschaften der Erde.

Als unermüdlicher Sprachweltreisender und poetischer Archäologe ist Raoul Schrott in vielen Ländern, Sprachen und Kulturen unterwegs und daheim - wie kaum ein zweiter Dichter.

So übersetzte er das älteste Epos der Menschheitsgeschichte, das Gilgamesh-Epos - das erste Stück Literatur überhaupt, rund 5000 Jahre alt. Oder er übersetzte brillant Homers Epos um den trojanischen Krieg, die „Ilias“ - etwa um 660 vor Christus entstanden.

In fernste Zeiten und Orte ist Raoul Schrott auch mit seinen eigenen schriftstellerischen Werken unterwegs.

Ob in seinem Romandebüt „Finis terrae“ (1995) oder in seinem erzählerischen Hauptwerk „Tristan da Cunha oder die Hälfte der Erde“ (2003): unentwegt ist er unterwegs auf Entdeckungsreisen äußerer und innerer Welten, erkundet er die Grenzen der Welt und der menschlichen Existenz, ihre Erfahrbarkeit und ihre Darstellbarkeit. Immer interessiert an abenteuerlichen Reisen, an entlegenen Orten, vergessenen Landschaften und fernen Inseln und Wüsten. Tristan da Cunha ist eine Insel ist eine Insel im Südatlantik, im Dreieck zwischen Brasilien, Afrika und dem Eis der Antarktis. Eine Landschaft am Ende der Welt, die für vier Menschen zum Angelpunkt ihrer Existenz wird. Der Roman widmet sich ihnen auf vier Zeit- und Erzählebenen.

In seinem 2016 erschienenen Werk „Erste Erde“ entfaltet Raoul Schrott 13 Milliarden Jahre Erdgeschichte - vom Urknall bis hin zum Auftauchen des ersten Menschen. Das Epos versteht sich ein erzählerisches Panorama unseres Kosmos, entfaltet in einzelnen Lebensgeschichten.

„Neugieriger und schöner, vielfältiger und wissbegieriger lässt sich das Leben kaum erkunden“, heißt es im Klappentext

Und Denis Scheck jubelte in seiner Fernsehsendung „Druckfrisch“ im November 2016: „Am Anfang war das Wort. Noch nie wurde das so aufregend, anschaulich, ja zwingend belegt wie in diesem Herbst von Raoul Schrott. (…) Er spricht von Zeiten, die niemand gesehen hat, erschafft die Welt also noch einmal ganz neu, nur mit Sprache, mit reiner, funkelnder Poesie.“

Herzlich willkommen beim 13. Eifel-Literatur-Festival 2018,

herzlich willkommen im Festsaal von Haus Beda: einen der brillantesten und meistbeachteten Schriftsteller unserer deutschsprachigen Gegenwartsliteratur: Raoul Schrott. ***