Festivalarchiv 2006 bis 2018

Einführungsrede zu Gregor Gysi am 22. Juni 2018 in Bitburg

Von Dr. Josef Zierden

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

„Ein Leben ist zu wenig“ - so heißt die Autobiografie von Gregor Gysi, im Oktober 2017 erschienen. Das Buch des heutigen Festivalabends.

Dr. Josef ZierdenDie vielen Leben des Gregor Gysi, 70 Jahre auf 574 Buchseiten - sie spiegeln historisch bewegte Zeiten: zwischen Mauerbau und Mauerfall, zwischen zwei Deutschländern. Mit dem Untergang von SED und DDR, mit der deutschen Einheit und dem Aufstieg der vereinigten Linken in Ost und West bis in den Deutschen Bundestag.

Ein Leben, aufregend, reich an Veränderungen, Erlebnissen, Enttäuschungen und Irrtümern, reich an Niederlagen und immer wieder auch an Erfolgen.

Die vielen Leben eines Mannes, der linkes Denken geprägt hat und der zu einer, vielleicht DER Galionsfigur der Linken in Deutschland wurde.

So oft war Gregor Gysi schon Vorsitzender - als Vorsitzender des Berliner Kollegiums der Rechtsanwälte, dann der 15 Kollegien der Rechtsanwälte der DDR, als Vorsitzender der SED, der SED-PDS, schließlich der „Linken“ und heute der Europäischen Linken - so oft war Gregor Gysi schon Vorsitzender, dass man ihm 2015 sogar ein kleines rotes Büchlein gewidmet hat, in der Optik der berühmtem Mao-Bibel von 1967: „Worte des Vorsitzenden Gregor Gysi“. Eine Zitatenkompilation, die einmal mehr beweist, wie schlagfertig, humorvoll und eloquent er sein kann.

Wenn er etwa auf die Frage antwortet, wie er einem Blinden sein Äußeres beschreiben würde: „Groß, stark, schlank, mit tollen Locken“.

Oder wenn er auf die Frage, was er besonders gut könne, antwortet: „Sie und andere in Grund und Boden quatschen.“

Oder um einen hymnischen Tanz der Superlative über Gysi in der Wochenzeitung „Die Zeit“ vom 6. Dezember 2016 in Zitatform zu entfesseln:

„Gregor Gysi ist wohl der amüsanteste und schlagfertigste, auch geistig beweglichste Politiker, der seit Menschengedenken die Bühne der deutschen Öffentlichkeit betreten hat. Ohne diesen Rechtsanwalt, der schon zur DDR-Zeiten den Ruf einer gewissen Frechheit genoss und der 1989 überraschend zum Vorsitzenden der tief verunsicherten SED gewählt wurde, hätte die Partei vielleicht niemals die Wiedervereinigung überlebt. Sie spielte bereits mit dem Gedanken der Selbstauflösung.“ Ohne Gysis Talente, so Zeit-Redakteur Jens Jessen, ohne Gysis Talente wäre sie vielleicht als graue Datschenbesitzer- und Rentnerpartei vor sich hingedümpelt. Zitat: „Ohne Gysi hätten Westpolitiker sie nicht zu fürchten gehabt.“

Amüsant, schlagfertig und geistig beweglich im superlativischen Ausmaß - das erklärt vielleicht, warum wir den Titel der Autobiographie „Ein Leben ist zu wenig“ auch hätten umwandeln können in den Satz: „Eine Veranstaltung ist zu wenig“.

So groß war die Nachfrage nach Tickets, dass diese Veranstaltung schon nach 1 Woche ausverkauft war. Und dass wir bis heute fast 500 Ticketwünsche auf der Warteliste haben. Wir hätten Gysifestspiele in der Eifel veranstalten können, Tag für Tag, eine Woche lang - jeder Veranstaltungssaal, noch der größte, wäre immer ausverkauft gewesen.

Ein „Einzelgänger mit Gruppensinn“ ist zu Gast, der im Prolog der Autobiographie bemerkt: „Ich habe schon als Kinder gelernt, dass man Sätze nicht mit ‚ich‘ beginnen soll“ - um genau diesen Satz mit dem Personalpronomen „Ich“ zu beginnen. Ebenso wie den ersten Satz des 1. Kapitels: „Ich kann von meinem Leben nicht behaupten, es verlaufe ruhig.“ Und auch der Epilog, der letzte Satz der ganzen Autobiographie auf Seite 574 beginnt natürlich mit „Ich“: „Ich bin wild entschlossen, das Alter zu genießen.“ Das Alter - das nennt er sein siebtes Leben. Er wisse gar nicht, wann das eigentlich anfange - kokettierte er einmal in einem Interview.

Bei Gysi spiele das Thema keine Rolle, er könne über alles reden, sagte einmal Talkmaster Günter Jauch über seinen Dauergast. Vielleicht nicht gerade über theoretische Physik, schränken Freunde schon mal ein. Aber gewiss etwa dazu, warum Rinderzüchter sein die beste Voraussetzung für die Politik ist. Er ist nämlich gelernter Rinderzüchter. 

Und reden kann Gysi natürlich zuallererst über sein prallvolles Leben, über Höhepunkte und Tiefpunkte, über Triumphe und Enttäuschungen, über Begegnung mit imponierenden Persönlichkeiten der Weltgeschichte von Gorbatschow bis Fidel Castro und Nelson Mandela.

Vorher aber noch ein kurzer Abstecher zur Eifel - die Gysis Leben vielleicht mehr berührt, als er selber bislang wusste.

Abgesehen davon, dass Trier, die Geburtsstadt von Karl Marx, gemeinhin als „das größte Dorf der Eifel“ gilt.

Oder Rudolf Bahro, einer der profiliertesten Dissidenten der DDR und der erste große politische Fall Gregor Gysis als Rechtsanwalt: In der Eifel, in Niederstadtfeld, schloss er sich ab 1986 einer Landkommune an - bevor er Ende 1989 wieder nach Ostberlin zurückkehrte und auf ausdrücklichen Wunsch von Gregor Gysi im Dezember 1989 auf dem außerordentlichen Parteitag der SED sprechen durfte - ohne mit seinen Träumen von weltschützenden Alternativen für das Leben auf dem Planeten Erde wirklich Anklang zu finden.

Bahros Stippvisite in der Eifel hat literarischen Niederschlag gefunden in dem Eifelkrimi „Der Retter“ - er ist erkennbar der wortmächtige „Guru“ in einer Landkommune in Niederstadtfeld in der Vulkaneifel. 

Und dann noch Oskar Lafontaine: Mit dem zusammen war Gregor Gysi von 2005 bis 2009 Fraktionsvorsitzender der Linkspartei im Deutschen Bundestag. Auch wenn es im April 2012 zum Bruch zwischen Lafontaine und Gysi kam, würdigt Gysi in seiner Autobiographie Lafontaines Leistung: „Die Linke, wie sie heute existiert und akzeptiert wird, gäbe es ohne Oskar Lafontaine nicht.“ Und Lafontaines Bezug zur Eifel? In Prüm, 30 km von Bitburg entfernt, hat der vaterlos aufgewachsene Lafontaine prägende Jahre am Gymnasium und in einem katholischen Internat verbracht - von 1953 bis zum Abitur 1962. Schon damals soll Lafontaine Durchsetzungskraft und Führungsehrgeiz an den Tag gelegt haben, wie in der Biografie von Filmer/ Schwan nachzulesen ist.

Eifel hin, große Politik her: Bühne frei beim 13. Eifel-Literatur-Festival in der Bitburger Stadthalle für die vielen Leben von Gregor Gysi - der einmal gesagt hat: „Mikrofone sind das einzige, was sich Politiker gerne vorhalten lassen.“

Und viel Erfolg für Moderator Hans-Dieter Schütt beim Versuch, die Gysischen Kaskaden der Beredsamkeit mit Fragen als Stauwehren zu bändigen. —-