Festivalarchiv 2006 bis 2018

Das Leben ist doch keine Waschmaschine

04.06.2016

Manfred Lütz in Prüm

Manfred Lütz erklärt in Prüm, warum wir keine Ratgeber zum Glücklichsein brauchen

Unnachahmlich witzig, spritzig, eloquent und dabei tiefsinnig hat sich Manfred Lütz 650 Besuchern des Eifel-Literatur-Festivals in Prüm präsentiert. Zum Thema seines Buches „Wie Sie unvermeidlich glücklich werden“ lieferte der Psychiater, Theologe, Philosoph und Kabarettist einen Parforceritt durch die (Philosophie-)Geschichte des menschlichen Strebens nach Glück.

Prüm. Wer ihn erlebt hat, wird diesen Abend in der Aula der ehemaligen Hauptschule in Prüm als ganz besonderen in Erinnerung behalten. Während draußen das Wasser vom Himmel strömt, prasseln drinnen so viele geistreiche Erkenntnisse, Pointen und Anekdoten, dass jeder Versuch, sich aus der Flut eigener Lachtränen freizuschwimmen, zum Scheitern verurteilt ist. Urheber dieser Woge kurzweiligster Unterhaltung ist bezeichnenderweise ein Flussanrainer, genauer einer vom linken Rheinufer.

Manfred Lütz, der in Bonn geboren ist und in Köln das Alexianer-Krankenhaus für psychisch Kranke leitet, bringt das Temperament der rheinischen Frohnatur mit. Und so trägt sein im Stehen, frei gehaltener Vortrag zuweilen karnevalistische Züge. Durchaus tauglich für die Bütt sind seine Auftakt-Gags über Westfalen „die haben Humor, aber später“ oder Düsseldorfer: Vermutlich ein Rechtsrheiner habe erfunden, dass im Zusammenhang mit behinderten Menschen statt von Integration nur noch von Inklusion gesprochen werden dürfe, was „Einschluss“ heiße. Ob damit geschlossene Abteilung gemeint sei? Wenn ja gebe es die sogar als Stadt: „Wir haben alle Behinderten in Düsseldorf untergebracht“.

Dazu muss erwähnt werden, dass Lütz als Pionier vor 35 Jahren eine integrative Gruppe zum Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung gegründet hat. In seinen Worten äußert sich daher nicht nur spezieller Humor, sondern auch Kritik an Paradoxen oder Absurditäten, die uns als „normale“ Sichtweisen oder moderne Errungenschaften einer aufgeklärten Gesellschaft verkauft werden. Für sie hat Lütz einen so sensiblen wie von gesundem Menschenverstand geleiteten Blick. Und den wirft er auch auf das Thema Glück.

Wer gehofft hat, eine Definition serviert zu bekommen, wird gleich eines besseren belehrt: „Jeder assoziiert etwas anderes damit, es gibt so viele Wege zum Glück wie Menschen“. Schon Aristoteles habe erkannt, dass sich die wirklich wichtigen Dinge im Leben nicht definieren ließen, sagt Lütz. Was ihn persönlich am Thema reize, sei der Umgang unserer Gesellschaft mit dem Glück, der einer Sucht gleiche. Die Glücksindustrie boome, es gebe unzählige und immer neue Glücksratgeber auf dem Buchmarkt: „Doch wenn Ratgeber wirklich helfen würden, müsste ja einer reichen“, frotzelt er, und: „Unsere Gesellschaft müsste bei dem Angebot eine der glücklichsten der Welt sein“. Es verhalte sich aber genau gegenteilig, besonders weil Glück häufig ein Synonym für Erfolg sei. Wer sich an den „Erfolgsmodellen“ der Glücksgurus messe, könne nur verlieren: „Denn ständiger Vergleich mit anderen macht unglücklich“. Erfolg sei kein entscheidendes Kriterium, führt Lütz weiter aus, man müsse nur einmal Künstler wie van Gogh oder Kafka betrachten, deren Erfolg sich erst nach ihrem Tod einstellte. „Doch haben diese Leute nicht ein erfülltes Leben geführt?“

Die ernsten Untertöne des katholischen Theologen blitzen auf, als er dann seine Kernbotschaft vermittelt: „Glücklich kann nur sein, wer etwas in sich sinnvolles tut und in den unvermeidlichen menschlichen Grenzsituationen wie Leid und Kampf ebenfalls Sinn sieht“. Manfred Lütz untermauert seine Ausführungen mit einem Exkurs in die Philosophiegeschichte, illustriert sie mit wunderbaren Anekdoten, Zitaten seiner rheinländischen Kabarett-Freunde Jürgen Becker oder Konrad Beikircher und gar Loriot-ähnlichen Ein-Mann-Spielszenen. Zwischendurch verteilt er auch kabarettistische Spitzen zu anderen gesellschaftlichen Absurditäten wie „Diätwahn“ oder „Pathologisierung von Befindlichkeitsstörungen“.

Dieser Abend wird als ein Genuss und sein Akteur als so eloquenter wie genialer und geerdeter Querkopf im Gedächtnis bleiben. Anke Emmerling

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